Frankreich: Der entmachtete Präsident

Marine Le Pen
Marine Le Pen(c) REUTERS (CHRISTIAN HARTMANN)
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Der Triumph des rechten Front National schwächt den glücklosen Hollande weiter – in Paris, aber auch in Berlin. Steht Frankreichs Linke vor einem „historischen K. o.“?

Paris. Brachiale Schlagzeilen prangten am Tag nach der Wahl auf den Titelseiten der französischen Zeitungen: Von einem „politischen Erdbeben“ war häufig zu lesen oder gar wie bei „Le Parisien“ von einem „Big Bang“. „Libération“ kommentierte zum Triumph der Rechtspopulisten: „Dass der Sieg des Front National zu erwarten war, ändert nichts an der Schockwelle, die Frankreich und Europa erschüttern wird.“

Natürlich konnte man sagen, dass manche Wähler mit dem Votum für den siegreichen rechtspopulistischen Front National einfach ihre Frustration und Wut abreagiert hätten, ohne mit dem fremdenfeindlich-nationalistischen Programm einverstanden zu sein. Dennoch wird das Ergebnis der europäischen Wahl auch innenpolitische Folgen haben. Staatspräsident François Hollande hat seinen Regierungschef Manuel Valls und mehrere Minister am Montagvormittag zu einer „Krisensitzung“ einberufen. Er erwog dabei den Sinn einer Fernsehansprache an die Nation. Doch was kann er noch sagen? Er hat bereits alle Karten ausgespielt. Ein Rücktritt kommt kaum infrage. Der FN wird ein Drittel der 74 französischen EU-Abgeordneten stellen. Das wird sich zwangsläufig auf das Image und den Einfluss von Frankreich, im Speziellen auch auf die Kräfteverhältnisse in der deutsch-französischen Zusammenarbeit auswirken.

Premier verspricht Steuergeschenke

Absurd mutet im Nachhinein die falsche Selbstsicherheit des Premierministers an, der versichert hatte, die (voraussehbar unerquicklichen) Ergebnisse der EU-Wahlen hätten keinerlei Konsequenzen für seinen Kurs. Diese „Maginot-Linie“ hat sich schnell als nicht haltbar erwiesen. Bereits am frühen Morgen hat der Premierminister „neue Steuersenkungen“ versprochen und ohne wirkliche Überzeugung erklärt, eine „Neuorientierung“ der EU sei möglich.

Der Schock am Tag nach der großen Desillusionierung bei der EU-Wahl in Frankreich wird nur noch von der politischen Hilflosigkeit der regierenden Sozialisten übertroffen. „Die Linke steht kurz vor einem historischen K. o.“, meint der Sozialist Julien Dray. Er will seine Genossen mit dem Mut der Verzweiflung zu einer Gegenoffensive mobilisieren, die sich gegen die „Austeritätspolitik und die drastischen Budgetrestriktionen“ richten müsse: „Wenn die Linke nicht in der Lage ist, das zu verstehen und sich an die Spitze der Schlacht für eine andere Politik zu stellen, dann werden andere dies tun und die Völker Europas auf verhängnisvolle Wege führen.“ In diesem Sinne fordert der linke Parteiflügel eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Programm von Hollande und einen Bruch mit den unpopulären Kompromissen mit der „neoliberalen“ Sparpolitik.

Katerstimmung herrschte aber auch bei der konservativen UMP. Sie gehört allein schon deswegen ebenfalls zu den Verlierern, weil es ihr diesmal – im Unterschied zu den kürzlichen Kommunalwahlen – nicht gelungen ist, Profit aus der Enttäuschung der Wähler zu ziehen. Die Früchte des Zorns haben die europhoben Listen, allen voran der FN, geerntet. Die UMP war intern gespalten und schlittert nun in eine Neuauflage einer Führungskrise, die seit Nicolas Sarkozys Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen von 2012 andauert. Der provisorische Parteichef Jean-François Copé, der zudem in einen Skandal um eine mutmaßliche Unterschlagung von Parteigeldern verwickelt ist, befindet sich auf einem Schleudersitz.

„Frankreichs erste Partei“

In Frankreich gibt es nur eine Gewinnerin: Die FN-Chefin Marine Le Pen sieht sich bereits im Finale um die Präsidentschaft von 2017 und mit einem Fuß im Elysée. Noch am Wahlabend wurde der Sitz des FN für ihre Siegesfeier mit neuen Plakaten geschmückt. „Premier parti de France“, steht darauf. Mit mehr als 25 Prozent der Stimmen bei den EU-Wahlen erhebt der FN den Anspruch auf den Titel, „Frankreichs erste Partei“ zu sein, und leitet daraus auch gleich mehrere politische Forderungen ab. Die rot-grüne Regierung habe nämlich aufgrund des Votums jede Legitimität verloren.

FN-Vizepräsident Florian Philippot sagt fast von oben herab, dem desavouierten Staatspräsidenten Hollande bleibe nun nichts anderes übrig, als „nach Berlin und Brüssel zu reisen und zu sagen: Es reicht! Frankreich akzeptiert eure Politik nicht mehr, weil das Volk es entschieden hat.“ Parteichefin Marine Le Pen hatte bestätigt, dass sie sofortige Neuwahlen verlangt.

Dafür hat sie allerdings keine andere Legitimation als den Jubel ihrer Anhänger vom Sonntag. Ihr erstes Etappenziel ist es darum, in Straßburg genügend Alliierte für eine rechtspopulistische Fraktion unter ihrer Führung zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2014)

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