Will verstehen, woher der Hass

Sechs Tote, 746 Verletzte: die „Mineriada“ des Jahres 1990. In der Serie „Expedition Europa“: eine Nachschau in Rumänien.

Da kommen wieder die Bilder vomersten Frühjahr der rumänischenDemokratie – zu blutigem Brei geschlagene Gesichter. 1990 zogen Bergarbeiter aus dem Schiltal nach Bukarest, verwüsteten Parteizentralen der Opposition, droschen auf demonstrierende Studenten ein. Sechs Tote, 746 Verletzte. Die Losung der „Mineriada“ soll gelautet haben: „Tod den Intellektuellen!“ Ich fahre seit Wochen durch Rumänien, mit den Büchern auf meiner Rückbank schaut man mich wohl als Intellektuellen an. Ich biege spontan ins Schiltal ab. Will verstehen, woher dieser Hass.

Ich finde zwischen Petrila und Uricani eine städtische Zone von 140.000 Einwohnern. Pulsierendes Straßenleben. An jeder Ecke Schilder von Gio Hahns EU-Programm „Regio“. Millionenbeträge für Straßenbau, Pflasterung, die mondäne Fußgängerzone in Petroşani. Das haben sie sich erkämpft, diese starken, von Geld und Gefahr in die Südkarpaten gelockten Männer, die 1929, 1977, 1990, 1991 und 1999 die rumänische Politik aufmischten.

Im Freibad von Lupeni. Nie im Leben habe ich so viele Liegestühle gesehen, die ganze Liegewiese ist zugestellt, mit mehr als 500 Stück. Vom Pool geht der Blick auf eine Reihe hoher Plattenbauten. Auf einem der Balkone ist das Dach eingesunken, aus manchem Flachdach wachsen Bäume. Baum auf dem Dach, das macht gleich eine mesopotamische Stimmung.

Wer hat damals zugeschlagen?

Bei Nacht in Vulcani. Der Barmann, 44, war damals Kumpel. Er erzählt, im Juni 1990 seien alle Bergleute gefragt worden, ob sie nach Bukarest mitkommen, um auf dem Universitätsplatz Ordnung zu schaffen. Die Regierung sei dazu nicht in der Lage. „Es war klar, dass sie fahren, um zuzuschlagen“, sagt er, „mich hat das nicht interessiert.“ 10.000 der damals 27.000 Bergleute seien gefahren. „Man hatsie manipuliert und in den Sonderzügen mit Alkohol abgefüllt.“ In Bukarest hätten sie nicht nur Oppositionelle verprügelt, sondern auch geplündert.

Bei Tag im belebten Park von Lupeni. Ich frage mich, wer von den reiferen Herren damals zugeschlagen hat. Ein Schlot ragt auf, als würde er das Retezat-Gebirge überragen wollen, auf das sich Radtouristen quälen. Auf der Parkbank gegenüber sitzt einer, der ins Profil passt. Er ist stark, hat eine verblichene Tätowierung auf dem Arm. Er isst langsam einen Apfel. Mustert mich, meine Lektüre. Als er aufsteht, spreche ich ihn höflich an: „Darf ich Sie etwas fragen?“ Er murmelt etwas, geht an mir vorbei. Ich: „Was ist Ihre Meinung zur Mineriada?“ Er dreht sich halb um. Grummelt unwillig: „Das ist die deppertste Frage, die dir einfallen konnte.“ Er geht weiter, umkreist mich lange, über die Maßen entspannt den Apfel jonglierend.

Ich finde einen, der 1990 dabei war. Zerknautschtes Bubengesicht mit blauen Augen, die harmloseste Erscheinung. Der Moldauer bekommt eine gute Pension, 450 Euro. Er leugnet, dass sie in Bukarest „Moarte intelectualilor!“ skandierten und „Wir arbeiten, wir denken nicht“. „Unsere Losung war: Wir arbeiten, wir kämpfen, wir verteidigen die Regierung.“ Im Sonderzug habe Alkoholverbot geherrscht. „Warum“, frage ich ihn, „warum diese Brutalität? Was habt Ihr gegen die Studenten gehabt?“ Die vier Freunde, die sicheinschalten, lassen ihn kaum zu Wort kommen. Übertönen ihn mit ihren Theorien: Präsident Iliescu sei schuld gewesen,die Securitate, manipulierte Studenten, besoffene Bukarester Zigeuner.

Der Moldauer verzieht nachdenklich sein Knautschgesicht: „Als es zu brutal wurde, habe ich die anderen gestoppt.“ Es bleibt das Gefühl, die reden sich alle heraus. Und doch fühle ich mich nirgends in Rumänien so wohl wie zwischen den hängenden Gärten des Schiltals. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2014)

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