Die deutsche Bundeskanzlerin ist innen- und europapolitisch in der Zwickmühle. Bei der Bestellung der neuen EU-Posten muss sie auf zu viele Interessen Rücksicht nehmen.
Wien. Sie hat sich nicht wohlgefühlt. Selten hat Angela Merkel bei einem öffentlichen Auftritt so unentschlossen, genervt und unsicher gewirkt wie nach dem EU-Gipfeltreffen diese Woche. Die deutsche Bundeskanzlerin steckt in einem mehrschichtigen Dilemma. Dazu kommt, dass ohne ihr Machtwort die Bestellung des Kommissionspräsidenten langwierig und kompliziert werden dürfte.
Merkel ist gewohnt, Entscheidungen von Tragweite nicht über das Knie zu brechen. Doch diesmal könnte ihr Zögern bei der Bestellung von Jean-Claude Juncker zum neuen EU-Kommissionspräsidenten einen Imageschaden für die gesamte Europäische Union und vor allem für das Gremium der Staats- und Regierungschefs bedeuten. Denn für viele EU-Bürger ist nicht nachvollziehbar, dass zwar die Europäische Volkspartei (EVP) zur stärksten Kraft gewählt wurde, aber die damit verknüpfte Bestellung ihres Spitzenkandidaten Juncker als Kommissionspräsident vorerst fehlgeschlagen ist.
Merkel, die am Freitag versicherte, dass es ihr darum gehe, Juncker durchzusetzen, zögerte wohl auch deshalb, weil zu viele politische Bälle in der Luft sind. Außenpolitisch droht eine tiefe Kluft mit Großbritannien. Theoretisch könnte zwar Premierminister David Cameron, der Juncker ablehnt, von den EU-Staats- und Regierungschefs überstimmt werden. Denn für diese Personalentscheidung ist nur eine qualifizierte Mehrheit notwendig. Doch die Folgen für die künftige Zusammenarbeit in Brüssel wären möglicherweise fatal. „Merkel hat Cameron noch nie isoliert“, betonte der deutsche Europaexperte Werner Weidenfeld kürzlich gegenüber der „Presse“. Der langjährige Regierungsberater hatte schon frühzeitig einen Machtkampf um die Kommissionsspitze vorausgesagt. Tatsächlich hat die deutsche Kanzlerin im Krisenmanagement und bei den schwierigen Verhandlungen über den neuen EU-Haushalt immer auf den eigensinnigen Tory-Premier Rücksicht genommen. Dass dieser schon 2009 die gemeinsame Parteienfamilie – die Europäische Volkspartei – verlassen hat, spielt offenbar in Merkels Kalkül keine Rolle. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir in diesem Rat wirklich gut miteinander zusammenarbeiten können“, erklärte sie in einem fast entschuldigenden Ton.
Ohne Paketlösung geht gar nichts
Merkel kann sich aber auch nicht leisten, Jean-Claude Juncker fallen zu lassen. Sie hat ihn mit nominiert und ist jenen Regierungschefs verpflichtet, die ihn gemeinsam in der EVP aufgestellt haben. Sie weiß auch, dass es eines ganzen Personalpakets bedarf, um den Luxemburger fix zu installieren. Denn es sind Begehrlichkeiten etwa der Osteuropäer oder des langjährigen Verbündeten Frankreich zu berücksichtigen. Da lediglich drei wichtige Posten zu vergeben sind – neben dem Kommissionschef jener des EU-Außenbeauftragten und des EU-Ratspräsidenten – ist der Spielraum klein. Innenpolitisch kommt hinzu, dass die SPD darauf drängt, Martin Schulz, den nur knapp unterlegenen Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, zum deutschen Kommissar zu ernennen. SPD-Chef Sigmar Gabriel wies darauf hin, dass Schulz auf jeden Fall der neuen Kommission angehören müsse.
Doch in der CDU gibt es kein Verständnis dafür, dass Merkel einen innerdeutschen Ausgleich zu Juncker schaffen soll. Immerhin gingen die Unionsparteien als stärkste Kraft aus der Europawahl hervor. In der Partei wächst zudem die Unzufriedenheit. Die Bundeskanzlerin sei dem Koalitionspartner bei der umstrittenen Rente mit 63 oder dem Mindestlohn bereits viel zu weit entgegengekommen, hieß es.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2014)