LaChapelles visuelle Verführungskünste

David LaChapelle
David LaChapelle(c) APA/EPA/HANS PUNZ (HANS PUNZ)
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Der Gestalter des Plakats zum Life Ball hat keine Berührungsängste: Mit den Mitteln der Werbeästhetik interpretiert David LaChapelle die Bibel neu und wildert in der Kunstgeschichte. Jetzt in der Galerie Ostlicht zu sehen.

Schönheit hat kein Geschlecht – so laute die Botschaft des umstrittenen Plakats zum heurigen Life Ball, erklärte das Transgender-Modell Carmen Carrera. Der Werbefotograf David LaChapelle hat sie nackt mit großen Brüsten und kleinem Penis in aufreizender Pose abgelichtet, was gleich einen Aufschrei provozierte. Dabei wusste man schon in der Antike, dass es so einfach nur mit Mann und Frau nicht getan ist. Hermaphroditen oder Zwitter wurden jene doppelgeschlechtlichen Individuen damals genannt, die heuer dank Conchita Wursts Songcontest-Siegs ganz vorn in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen sind.

Mit dem Plakat ist LaChapelle ein guter Coup gelungen. Denn die Diskussionen um das intersexuelle Model verschaffen seiner Einzelausstellung in der Galerie Ostlicht in der Ankerbrotfabrik große Aufmerksamkeit. LaChapelle galt lang als Radikaler unter den Modefotografen. Geliebt von Magazinen und Marketingabteilungen ob seiner visuellen Verführungskünste, etablierte er seine Hochglanzfotografie bald auch auf dem Kunstmarkt. Bei Ostlicht kosten seine kleineren Fotografien ab 18.000 Euro (30er-Auflage), die Großformate gehen bis 101.000 Euro hoch (Deluge, Fünferauflage).


Werbung, Musikvideos.
LaChapelle gilt als Superstar. 1963 in Connecticut geboren, fotografierte er in den 1980er-Jahren für das Magazin „Interview“. Damals hatte sich der Gründer, Andy Warhol, allerdings schon längst zurückgezogen, die Zeitung stand nicht mehr im Ruf eines Avantgarde-, sondern eines Modemediums. Mit Promi-Fotografien macht sich LaChapelle bald einen Namen, fotografiert für die Werbung, dreht Musikvideos und zeigt zunehmend in Galerien und Kunstvereinen.

Worauf beruht sein Erfolg? Auf der Provokation mit nackten Körpern in buntem Hochglanz? Auf den einfachen Kompositionen mit einem mittig gesetzten Bildhelden, präsentiert in aalglatter Werbeästhetik? Oder seinem unbekümmerten Wildern in der Kunstgeschichte? Nichts ist für LaChapelle tabu, und vor keinem Klischee schreckt er zurück: „Jesus is my homeboy“ (2003) nennt er eine Serie mit einem langhaarigen, bärtigen Mann, dem in der Küche eine halb nackte Frau in roten Stöckelschuhen die Füße wäscht oder der zum letzten Abendmahl umringt ist von Ghetto-Burschen.

„Christliche Fundamentalisten haben die Lehre von Jesus zerstört, genauso wie Islamisten die Lehre des Korans zerstört haben. Fundamentalismus macht alles kaputt, was er anfasst. Ich wollte das Wort von Jesus, dem Künstler, Lehrer und Propheten, retten“, erklärte er einmal ganz ohne Ironie – obwohl diese Bilder eine andere Sprache sprechen, statt Worten eine grell-geile Werbeästhetik mit einem Hauch von Dekadenz zelebrieren.

Ohne jegliche Berührungsängste reinterpretiert er auch die „Geburt der Venus“ von Sandro Botticelli aus dem 15. Jahrhundert, eine keusche und doch sinnliche Huldigung der Liebe. Wo Botticelli langes Haar und Tücher schweben lässt, fliegen bei LaChapelles „Rebirth of Venus“ (2009; 48.000 Euro) Girlanden ins Bild, und die weibliche Figur erinnert eher an Baywatch als an die Liebe. Und die merkwürdigen Tankstellen in wuchernden Miniaturlandschaften und die hellleuchtenden Ölraffinerien (ab 32.300 Euro)? Als Modelle mit kleinen Gegenständen wie Lockenwicklern gebaut, werden im Foto die Größenverhältnisse pervertiert, Softdrink-Dosen und Batterien erscheinen wie Öltürme.


Frontalansicht.
Auch hier zelebriert LaChapelle sein Prinzip des glamourösen Bildhelden in Frontalansicht. Es seien die „Kapellen unserer Zeit“ sagt er bei der Pressekonferenz. Steckt darin ein Kommentar zur Ausbeutung unserer Welt, zu ökologischen und ökonomischen Krisen? Er wolle jede Interpretation den Betrachtern überlassen, antwortet er. Aber diese plastikbunte Ästhetik kann gar keine kritische Weltsicht transportieren, denn auch hier inszeniert LaChapelle das Bildmotiv als Star. Darum funktioniert sein Life-Ball-Plakat so gut: Das Model Carrera wird zur „neuen Göttin“. (Eröffnung: Sonntagabend, Ostlicht, Galerie für Fotografie, Absberggasse 27, 1100 Wien).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2014)

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