Ausstiegsstelle für Neonazis in Hitlers Geburtshaus?

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Deutschlands bekannteste Ausstiegsstelle denkt an ein Büro in Hitlers Geburtshaus. Experten orten großen Bedarf. Das Innenressort sieht das anders.

Braunau. Was hat man mit diesem Haus nicht schon alles geplant. Man wollte es abreißen, zu einem Wohnhaus umfunktionieren und es zu einer Gedenkstätte machen. Nun gibt es einen Plan mehr.

Hitlers Geburtshaus in Braunau in Oberösterreich könnte auch Sitz einer Ausstiegsstelle für Neonazis werden. Das kann sich Bernd Wagner vorstellen. Wagner ist ehemaliger Kriminalpolizist und Mitgründer von Exit Deutschland, einer Ausstiegsstelle für Neonazis. Der seit 2000 in Deutschland agierende Verein hat laut eigenen Angaben mehr als 500 Neonazis beim Ausstieg geholfen. Auch Österreicher würden sich (aus Mangel an heimischen Einrichtungen) immer wieder an Exit wenden. „Wir können denen halt immer nur per E-Mail und Telefon helfen“, sagt Wagner.

Das könnte sich nun ändern. Wagner hat sich mit Andreas Maislinger zusammengetan. Der Politologe macht sich seit Jahren in Braunau für ein „Haus der Verantwortung“ mit verschiedenen Projekten in Hitlers Geburtshaus stark. „Da könnte auch Exit ein Büro haben“, sagt Maislinger zur „Presse“.

Im Detail müsste die Stelle von Österreichern betrieben werden, Exit Deutschland würde aber helfen, das Personal auszubilden, sagt Wagner. Das Hitler-Geburtshaus, hätte eine wichtige symbolische Wirkung für die Aussteiger. „Das hätte etwas Angreifendes auf das Innere der Neonazi-Szene.“

Mit ihrer Idee greifen Wagner und Maislinger gleich zwei Themen auf, die derzeit im Innenministerium diskutiert werden. Erstens, was passiert mit Hitlers Geburtshaus (es steht seit Jahren leer), und zweitens, wie geht man bundesweit mit Radikalen um.

Derzeit arbeitet das Innenministerium an einer „De-Radikalisierungshotline“. Dort sollen sich zum Beispiel Eltern melden können, die sich Sorgen um ihre Kinder machen. Auf der anderen Seite kann dort jeder anrufen, dem etwas Verdächtiges zum Thema auffällt. So mischt sich Fürsprache mit Strafverfolgung.

Hemmschwelle für Eltern?

Das Vorhaben von Ressortchefin Johanna Mikl-Leitner hat von Anfang an Kritiker mobilisiert. So will man die Hotline beim Innenministerium ansiedeln, was die meisten Experten, die sich mit dem Thema befassen, aufs Schärfste verurteilen. Eltern würden wohl kaum ihre eigenen Kinder bei der Polizei anschwärzen, lautet sinngemäß die Argumentation. Auch Wagner, der Ex-Kriminalpolizist, sagt, es sei besser, eng mit der Polizei zusammenzuarbeiten, nicht aber die präventive Arbeit dort anzusiedeln.

Im Innenministerium ist man bemüht, noch möglichst wenig zu dem Thema zu sagen, betont aber, dass man auch in Gesprächen mit NGOs und Vereinen sei. „Das Innenministerium muss nicht zwingend das Telefon abheben, aber natürlich gibt es ein polizeiliches Interesse“, sagt ein Sprecher.

Hilfe „unbedingt notwendig“

Nach Meinung des Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl, der das Innenministerium bei der Entwicklung der Hotline berät, soll die Hotline im Herbst starten. Er beschreibt das Vorhaben als eine Art Rat-auf-Draht–Nummer, wo die Anrufer, je nach Anliegen, an NGOs und Institutionen weitervermittelt werden. Etwa an das AMS, das Jugendamt oder den Bewährungsverein Neustart. Für Aussteiger könnten wiederum der Anti-Rassismus-Verein ZARA oder das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) in Frage kommen.

An das DÖW leitet das Innenministerium schon heute hin und wieder Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene weiter – und ist damit auch überfordert. „Wir weisen niemanden ab, aber wir haben derzeit die Kapazitäten nicht“, sagt DÖW-Mitarbeiter Andreas Peham. Eine eigene Ausstiegsstelle – wie etwa in Deutschland – hält er für „unbedingt notwendig“.

Die scheint die Innenministerin derzeit aber nicht zu planen. „Der Bedarf ist aktuell nicht groß genug“, sagt ein Sprecher. Bernd Wagners Vorschlag, in Hitlers Geburtshaus eine Ausstiegsstelle für Neonazis zu etablieren, lehnt das Innenressort daher ab. „Das steht nicht zur Diskussion.“

Laut Kriminalsoziologen Kreissl sollen stattdessen über die neue Hotline bestehende Institutionen miteinander verbunden werden. „Die Herkulesarbeit wird sein, dieses Netzwerk aufzubauen“, sagt Kreissl, der die Idee des Innenministeriums zwar gut findet, die Umsetzung aber noch abwarten will.

In den nächsten Wochen wird eine Studie präsentiert, die das Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie im Auftrag des Innenministeriums durchgeführt hat. Dafür wurden Mitarbeiter von Justizanstalten, vom Bewährungsverein Neustart und etwa 1000 Lehrer befragt, wie sie das Ausmaß der Radikalisierung in Österreich einschätzen. Das erste Ergebnis der Studie: „Die Radikalisierung von links ist vernachlässigbar, die von rechts ist die größte Sorge“, sagt Kreissl. Und dann gebe es noch eine allgemeine Beunruhigung über den wachsenden Trend zum religiöseren Leben. „Da ist oft unklar, ob dahinter eine Radikalisierung steckt“, sagt Kreissl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2014)

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