Lasst Europas Kosmopoliten zweimal wählen

Ein mögliches Rezept gegen Wählerschwund?

Groß war der Aufschrei in Deutschland, als bekannt wurde, dass Giovanni di Lorenzo bei der Europawahl zwei Stimmen abgegeben hatte – die eine als deutscher, die andere als italienischer Staatsbürger. Er habe geirrt, gab der Chefredakteur der „Zeit“ zerknirscht zu, während der Staatsanwalt wegen Wahlfälschung ermittelt und allerorten Empörung ventiliert wird: Wie kann er nur, dieser Kosmopolit!

Di Lorenzo hat rechtswidrig gehandelt – doch sein Vergehen ist ein Kollateralschaden der Europapolitik. Denn die EU ist weder Bundesstaat noch Staatenbund, sondern ein Kompositum, dessen Komplexität das Heilige Römische Reich in den Schatten stellt. Derartige Einzelfälle ließen sich nur mit einem Ausmaß an Zentralisierung ausschließen, das nicht wünschenswert wäre.

Man könnte der Sache aber auch einen satirischen Spin verpassen: Di Lorenzo zählt als EU-Doppelstaatsbürger zu jener Spezies, die man in Brüssel nach Kräften fördern möchte. Warum also nicht den Kosmopoliten in Anerkennung ihrer Verdienste um den Integrationsprozess eine zweite Wahlstimme verleihen? Wäre doch ein wunderbares Mittel gegen den Sinkflug der Wahlbeteiligung, unter dem die EU seit der ersten Europawahl leidet!

Doch diese Hoffnung auf eine Wunderwaffe gegen den Wählerschwund würde sich – leider, leider – nicht erfüllen. Denn wie sich seit Jahrzehnten zeigt, ist dem EU-Durchschnittsbürger selbst ein einziger Gang zur Wahlurne zu viel. Auch in dieser Hinsicht ist Giovanni di Lorenzo also kein Vorbild.

michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2014)

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