EU: Die Einsätze im Brüsseler Poker

 Juncker
Juncker(c) APA/EPA/JULIEN WARNAND (JULIEN WARNAND)
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Am Rande des G7-Gipfels erörtern Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien die Nominierung von Juncker zum Kommissionspräsidenten und andere EU-Spitzenposten.

Brüssel. „Ich bin zuversichtlicher denn je, dass ich der nächste Präsident der Europäischen Kommission sein werde“ – mit diesen per Twitter übermittelten Worten bekräftigte Jean-Claude Juncker am gestrigen Mittwoch seinen Anspruch auf den Chefposten der Brüsseler Behörde. Seitdem vom britischen Regierungschef David Cameron vergangene Woche offen Widerstand gegen den Wahlsieger der Europawahl kam, ist das politische Schicksal des Christdemokraten unsicherer denn je. Zwar hat Juncker das Europaparlament hinter sich, doch die Abgeordneten können nur über einen Kandidaten entscheiden, der zuvor von den EU-Staats- und Regierungschefs nominiert wurde – und im Rat stellen sich neben den Briten derzeit auch die Ungarn und Schweden quer.

Angesichts der Dissonanzen hängt nun vieles davon ab, ob die großen EU-Mitglieder zueinanderfinden können. Vier von ihnen – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien – haben am Rande des heutigen G7-Gipfels in Brüssel die Gelegenheit, informell ihre Positionen abzustimmen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt es herauszufinden, ob sich Cameron mit inhaltlichen und personellen Zugeständnissen ins Boot holen ließe und welchen Kommissarsposten der italienische Premier Matteo Renzi für sein Land einfordern wird (siehe unten). Merkel selbst steht nach anfänglichem Zaudern nun hinter Juncker: Die gesamte deutsche Regierung setze sich für dessen Nominierung „mit der notwendigen qualifizierten Mehrheit“ im Rat – also notfalls auch gegen den Widerstand Großbritanniens – ein, sagte Merkel gestern im Berliner Bundestag.

Votum am 15. Juli?

Ähnliche Töne kommen auch aus dem Europaparlament. Der gestern zum Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei gewählte CSU-Abgeordnete Manfred Weber will bereits in der Plenarsitzung am 15. Juli über den Kandidaten Juncker abstimmen lassen. Bleiben die Parlamentarier bei diesem Zeitplan, hätten die Staats- und Regierungschefs sechs Wochen Zeit, um auf den grünen Zweig zu kommen. Gerüchte, wonach auch Ratspräsident Herman Van Rompuy, der die Sondierungsgespräche führt, gegen die Kandidatur Juckers sei, wollte Weber nicht kommentieren. Laut seinem scheidenden Vorgänger Joseph Daul gibt es aber „keine Probleme“ mit Van Rompuy.

Merkel in der Heimat unter Druck

Hat sich Angela Merkel verrechnet? Um einen Präzedenzfall zu vermeiden und David Cameron nicht zu vergraulen, rückte die deutsche Bundeskanzlerin nach der EU-Wahl von ihrem Kandidaten Jean-Claude Juncker ab. Doch Merkel dürfte unterschätzt haben, welchen Aufschrei sie damit in Deutschland – und auch beim Koalitionspartner SPD – auslösen würde. Die öffentliche Empörung bringt sie nun in eine missliche Lage: Sie muss Juncker unterstützen, will sie keine innenpolitische Krise riskieren, und zugleich verhindern, dass sich Cameron politisch blamiert.

Renzi pokert um EU-Topjobs

„Es geht nicht um Namen, es geht um Inhalte“, lautet die offizielle Diktion aus Rom zum Thema EU-Personalkarussell. De facto will sich Premier Matteo Renzi nicht festlegen: Juncker habe keinen automatischen Anspruch auf den Posten des EU-Chefs, sagte der Linksdemokrat. Das Hickhack um den Luxemburger scheint der durch den EU-Wahlerfolg gestärkte Renzi zu nutzen, um bei der Vergabe der EU-Topjobs so viel wie möglich für Italien rauszuschlagen. Laut Medien will Rom durch einen „wichtigen“ Kommissar oder den Parlamentspräsidenten vertreten sein.

Hollande fordert Gefälligkeit

Freilich hätte François Hollande gern einen ihm nahestehenden Sozialisten wie Ex-Wirtschaftsminister Pierre Moscovici an der Kommissionsspitze gesehen: Diesen brachte er gegenüber Merkel auch für den Topjob ins Spiel. Am Ende dürfte der pragmatische Staatschef aber auch Juncker akzeptieren. Als Entgegenkommen für seine Zustimmung könnte Hollande einerseits einen Posten für Moscovici in der Kommission oder als Euro-Gruppen-Chef erwarten, andererseits Nachsicht, wenn Frankreich sein Defizitziel wieder nicht fristgemäß auf weniger als drei Prozent senken kann.

Cameron bangt um seine Karriere

Elf Monate vor der Parlamentswahl und unter dem Eindruck des Höhenflugs der EU-kritischen UKIP-Populisten kann sich der britische Premier David Cameron nicht erlauben den Eindruck zu erwecken, die Botschaft der Wähler nicht verstanden zu haben.

Cameron, der seinem Volk für Ende 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft versprochen hat, muss zeigen, dass er Brüssel in seinem Sinne beeinflussen und den aus seiner Sicht zu EU-freundlichen Juncker verhindern kann. Verliert er das Referendum, ist seine politische Karriere vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

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