Venedig: Wenig Architekten, viel Architektur

(c) EPA (Guenter R. Artinger)
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Rem Koolhaas hat eine Architekturbiennale kuratiert, auf der das übliche schrille Stargetue der Branche fehlt. Die "Presse" führte er durch seine "Elements of Architecture", in der man viel über Dächer, Heizungen, Klos etc. lernen kann.

Als der Architekt Rem Koolhaas vor vier Jahren von den Hochoberen der Biennale von Venedig gefragt wurde, ob er die nächste Architekturschau als Direktor ausrichten wolle, lehnte er zu deren Überraschung sofort ab. Das Argument des kühlen, der äußersten Genauigkeit verpflichteten Holländers: Zwei Jahre Vorbereitungszeit seien viel zu kurz. Für die übernächste Biennale 2014 könne er jedoch gern zur Verfügung stehen. So öffnet heute also seine Schau in den Giardini und im Arsenale.

Die venezianische Architekturbiennale ist unbestritten die prominenteste Architekturausstellung der Welt, und das verträgt sich gut mit Koolhaas, denn der ist seinerseits der wohl analytischste und unkonventionellste Architekturdenker dieser Zeit. Und offenbar geht ihm der in vieler Hinsicht bereits ans Lächerliche grenzende Starrummel im weltweiten Architekturzirkus auf die Nerven.

„Architektur, nicht Architekten“ heißt so einer der Slogans, die er für Venedig ausgab. Die Biennale, so Koolhaas, habe in den vergangenen Jahren zu sehr den Pfauenfedern der Disziplin, also extravaganten Gebäuden und gefeierten Architekturstars, gehuldigt. Es sei an der Zeit, zu den Fundamenten zurückzukehren und diese akribisch zu analysieren. So lautet auch die Überschrift der diesjährigen Schau: „Fundamentals“.

Häuser haben immer noch Wände!

Das Resultat der mit zahlreichen Wissenschaftlern erarbeiteten Analysen ist das Herzstück der Biennale: „Elements of Architecture“ befindet sich im Hauptpavillon der Giardini und befasst sich mit scheinbar simplen architektonischen Elementen wie der Wand, der Decke, der Treppe, dem Aufzug, dem WC. In der Architektur, sagt Koolhaas, würden nur sehr selten neue Erfindungen gemacht. Häuser bestünden immer noch aus Dächern, Fenstern, Wänden, eben diesen fundamentalen Elementen, die freilich im Laufe der Architekturgeschichte steter Wandlung unterzogen waren. Diese Verwandlungen und Uminterpretationen zu durchleuchten ist unterhaltsam, lehrreich und von frechen Einsprengseln erfrischend durchsetzt.

So darf man beispielsweise die Entwicklung der Toilette in Form von Artefakten betrachten. Das älteste hier ausgestellte Klo stand in den Kloaken Roms zu Zeiten des Caracalla, es ist aus Marmor gemeißelt und wirkt erstaunlich bequem. Das modernste WC stammt aus Japan und ist ein Hightech-Apparat, vor dessen Benutzung er persönlich jedoch abrate, so Koolhaas. Das Gerät analysiere anhand der Substanzen, die es auffange, zugleich allerlei Körperfunktionen, Cholesterine und so weiter, welche genau, wolle man gar nicht wissen...

Jeder Raum ist einem anderen Thema gewidmet, einer etwa der Heizung. Hier befindet sich eine unter Gesteinsschichten gefundene Feuerstelle aus der Steinzeit ebenso wie eine hochtechnologisierte Deckenkonstruktion, die den darunter Wandelnden zielgenau mit einem Wärmestrahl umhüllt – ein Forschungsprojekt, das möglicherweise dereinst zur Anwendung kommen kann, um Energie zu sparen.

Sich der Architektur über ihre vermeintlich einfachen Einzelteile zu nähern mag simpel klingen, ist jedoch spannend, wenn man sich die Entwicklung der Portale über die Jahrtausende ansieht, oder die ersten Sicherheitsvorrichtungen, wie sie in der österreichischen Burg Hochosterwitz bereits im 16.Jahrhundert zur Anwendung kamen: ausgeklügelt konstruierte Kipp- und Falltüren, Pechnasen, riesige Schlösser mit komplizierten inneren Mechanismen. Die ganze Burg, sagt Koolhaas, war gespickt mit den modernsten Sicherheitssystemen der damaligen Zeit. Wie die heutigen aussehen, ist im selben Raum dargestellt: Ein dreidimensionales Relief führt die mannigfaltigen, für Reisende sicht-, aber auch unsichtbaren Security-Checks von Passagieren und Gepäck vor Augen, die jeder Flughafen bereithält.

Koolhaas hat dieses Thema der zeitlichen Analyse von Architektur, das in den vergangenen Jahren so aus der Mode gekommen war, auch den Kuratoren der 65 vertretenen Nationen vorgegeben: Unter dem Titel „Absorbing Modernity 1914–2014“ sollte jedes Land für sich ausloten, inwieweit im vergangenen Jahrhundert die lokale Architektur die Architektursprache der Moderne übernommen, die eigene, lokale verloren oder in die Entwicklung eingebaut hat. Schmeckt die Architektursuppe der Zukunft überall gleich? Werden sich regionale Spezifika übertragen, weiterentwickeln, wieder zu Neuem führen?

Die diesjährige Architekturbiennale ist keine Leistungsschau, sondern ein öffentlich zugängliches Labor. Wenig Architekten. Viel Architektur. Endlich!

Mehr über die Architekturbiennale und über den österreichischen Pavillon: morgen im „Spectrum“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2014)

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