Die auferstandene Kaffeehauskultur von Lemberg

Im westukrainischenLwiw, einst Teil des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, erlebt der Kult um die Bohne eine Renaissance. Und die Sonnenterrasse des Wiener Cafés ist der Lieblingsort aller Schaulustigen.

Bis heute verweisen die Ukrainer stolz darauf, dass Georg Franz Kolschitzky, geboren 1640 in Sambir nahe Lwiw (heute Ukraine, damals Polen-Litauen) das erste Wiener Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt eröffnete. Kolschitzky, ein Geschäftsmann, der Türkisch sprach und während der Zweiten Türkenbelagerung 1683 als Spion ins osmanische Lager gelangte, soll von seinen Auskundschaftungen den Kaffee mitgebracht haben.

Auch wenn diese Geschichte in Historikerkreisen den Status einer Legende hat: Lemberg hat ein spezielles Verhältnis zum Kaffee. Das ist wenig verwunderlich, zumal Galizien Teil des k.u.k.Reichs war und der Kaffee ja irgendwie herkommen musste. In Lemberg hat man die aromatische Bohne in den vergangenen Jahren neu entdeckt. Bei Touristen kommt das gut an, es könnte langfristig auch die ukrainische Kaffeekultur heben: Denn im Rest des Landes sind der bittere Löskaffee oder die modernere Variante „Drei in eins“ (fertige Kapseln mit Kaffeepulver, Milch und Zucker) verbreitet.

Lemberg also vermarktet seine kaffeeaffine Geschichte äußerst erfolgreich: Es gibt fahrende Kaffeewagen im Nostalgiestil, deren galizische Baristas unter freiem Himmel einen „Latte“ zubereiten, ein Kaffeefestival, viele Kaffeegeschäfte und natürlich Kaffeehäuser.

Das bekannteste Café liegt am Freiheitsprospekt 12. Stolz nennt es sich Wiener Kaffeehaus – ein Name als Qualitätsauszeichnung. So altehrwürdig es ist, in seinem Inneren erinnert es „bedauerlicherweise eher an den Wartesaal des lokalen Hauptbahnhofs als an ein gemütliches Wiener Kaffeehaus“, wie ein Online-Reiseführer treffend notiert. Die Lemberger schätzen es dennoch. Die Karte ist groß, das Essen gut, die Süßspeisen fein. Hier wird längst nicht nur Kaffee, sondern auch viel Lemberger Bier konsumiert.

Blick auf den Freiheitsprospekt. Am besten ist das Kaffeehaus in der warmen Jahreszeit. Auf der Sonnenterrasse – gleich hinter dem Bronzedenkmal für Nationaldichter Taras Schewtschenko, nur ein paar Schritte vom Opernhaus entfernt – hat man freien Blick auf den Freiheitsprospekt, die beste Flaniermeile der Stadt. Da bleibt keine Zeit zum Zeitunglesen. Die Autos lärmen zwar, doch könnte man hier nicht so unbeschwert im Freien sitzen, wenn nicht in der Kaiserzeit die Straße gebaut worden wäre. Sie überdeckte den Fluss Poltwa, eine (damals zumindest) stinkende Kloake. Einen Blick auf die Poltwa werfen kann man übrigens in der Oper, wo eine Treppe zum steinernen Flussbett hinabführt. Aber das ist eine andere Lemberger Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2014)

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