Als hätten die Bürger nicht gewählt

Das Feilschen um die Bestellung von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten ist eine Anmaßung der Regierungschefs.

Was für ein elender Basar kleinkrämerischer Interessen ist die Bestellung des nächsten Kommissionspräsidenten geworden. Ein Job hier, eine inhaltliche Zusage da. Die Staats- und Regierungschefs der EU, denen nach den Europawahlen die schlichte Aufgabe zugefallen ist, die neuen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament „zu berücksichtigen“ und Jean-Claude Juncker für die Nachfolge von José Manuel Barroso zu nominieren, spielen ein durchsichtiges Spiel. Es wird letztlich sie selbst und die bereits ungeliebte EU weiter beschädigen. Aber sei's drum.

Eigentlich geht es um etwas weit Schlimmeres: Es geht um die Ignoranz des Wählerwillens. Erstmals haben sich die Spitzenkandidaten europaweiten Debatten gestellt, haben relativ sachlich ihre Positionen für die Zukunft der EU erklärt. Und ihre Präsentation floss in die Entscheidung vieler Wähler ein. Jetzt kündigen deutsche Politiker die Suche nach einem Kompromiss mit dem drittgereihten bei dieser Wahl in Großbritannien an. Ein inhaltliches Gegengeschäft soll Juncker retten. So, als hätte der Bürger nicht gewählt, wird der übergeordnete Zweck der Europäischen Union zum Machterhalt einzelner Regierungschefs missbraucht. Nicht zum ersten Mal, aber noch nie so schamlos.

E-Mails an:wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.