Ob Überwachung bleibt, hängt auch damit zusammen, ob man sie leicht umgehen kann. Das zeigte die Verhandlung am VfGH.
Wien. Menschenschlangen vor dem Aufgang, ein dicht befüllter Zuschauerbereich im Verhandlungssaal: Selten war das Interesse an öffentlichen Verhandlungen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) derart groß wie gestern, Donnerstag.
Für den Andrang sorgte die Verhandlung zur Vorratsdatenspeicherung. Sie zwingt heimische Telekommunikationsbetreiber, bei jedem zu protokollieren, wann er mit wem Kontakt hatte. Die Justiz darf bei bestimmten Verdachtsmomenten die Daten einsehen. Anlass für die Maßnahme war eine EU-Richtlinie, diese wurde aber inzwischen vom EU-Gerichtshof (EuGH) als überschießend aufgehoben. Es wurde aber nicht generell ausgeschlossen, dass derartige Daten erhoben werden können. Der VfGH muss nun klären, ob das heimische Gesetz im Licht des EuGH-Urteils noch Bestand haben kann.
Die Regierung will die Vorratsdatenspeicherung retten: Sie argumentiert damit, dass man die Überwachung nur schonend einsetze (so werden die Daten bloß sechs Monate gespeichert). Spitzenrepräsentanten von vier Ministerien (Justiz-, Innen-, Verkehr- und Kanzleramt) sind vor dem VfGH erschienen, um diese Linie zu untermauern. Vor allem Christian Pilnacek, Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium, betonte, dass die Vorratsdaten von Nutzen sein können.
Besonders hellhörig wurden die Richter aber, als der Vertreter des Verkehrs- und Technologieministeriums, Christian Singer, davon sprach, was aufgezeichnet werden kann und was nicht. Werde ein Mail über den Server des Anbieters verschickt, so werde dieser Vorgang explizit festgehalten. Nutze aber jemand via Internet SMS-Ersatzdienste wie WhatsApp, so scheine das nicht auf. Der Anbieter könne diesen Datenstrom nicht zuordnen. Mehrere Richter fragten nun immer und immer wieder nach, ob man denn die Vorratsdatenspeicherung mit Diensten wie WhatsApp oder Internetelefonie tatsächlich umgehen könne. „Die NSA weiß alles, aber der Betreiber nichts“, meinte Singer schließlich dazu.
Freilich: Falls (ausländische) Internetdienste kooperieren, können sie der Polizei Daten liefern – und zusammen mit der Vorratsdatenspeicherung hat man dann Chancen, den Urheber einer Nachricht ausfindig zu machen. Aber das nütze ja auch nur, wenn die Behörden schon zuvor wissen, dass eine Nachricht einen problematischen Inhalt hat, wandten die Richter ein.
Vorratsdaten: 385 Fälle
Die Höchstrichter rund um den zuständigen Referenten, Christoph Grabenwarter, wollten zudem wissen, inwiefern die Vorratsdaten nützlich seien. 385 Anwendungsfälle gab es von Beginn der Speicherung (1.4.2012) bis 10.6.2014, referierte Pilnacek. In 173 Fällen hätte die Vorratsdatenspeicherung zur Aufklärung beigetragen. Am häufigsten angefragt wurden die Daten bei Diebstahlsdelikten (137-mal), gefolgt von Suchtgiftfällen (62).
Kritiker der Vorratsdatenspeicherung bemängeln, dass diese wegen des Kampfs gegen den Terror eingeführt wurde, es dafür aber keinen Anwendungsfall gebe. Überhaupt sei die Speicherung ein unverhältnismäßiger Eingriff in Grundrechte. Als Kläger vorm VfGH treten Kärntens Landesregierung, ein Angestellter einer Telekommunikationsfirma und eine Privatperson des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung auf. Der VfGH urteilt in den nächsten Wochen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2014)