Wohngeschichten: Geordnete Wildnis an der unteren alten Donau

In einem Kleingarten an der unteren alten Donau lebt es sich ganz gemütlich. Das Badewasser ist nicht weit, die Wildpflanzen im Garten versorgen seine kreativen Bewohner.

Das kleine Haus und das quadratische Grundstück mit der mächtigen Pyramidenpappel ist Sylvia Junger quasi in die Hände gefallen. Als sie mit dem Fahrrad an der unteren alten Donau unterwegs war, war der Zettel des Vorbesitzers erst frisch aufgehängt. Lebensgefährte Manfred Hauer-Pavlik, der gerade in Miami weilte, musste am Telefon schnell überzeugt werden, spontan wurden Kauf und Finanzierung im sechsstelligen Bereich beschlossen. Bis der Datenbankexperte – wie heute – „ich liebe es“ sagen konnte, hat es etwas gedauert, dafür ist die Begeisterung für den 500 Quadratmeter großen Kleingarten und das kleine Sommerhäuschen nun umso nachhaltiger. „Ich wusste sofort, das ist der Platz, an dem ich leben möchte“, entgegnet Junger.

Dabei sah der Garten damals so gar nicht nach ihren Vorstellungen aus, „lauter Giftpflanzen, Oleander, Liguster, eine Spierenhecke, das verträgt sich mit einem Kräutergarten absolut nicht“, erklärt sie – und hat sich sofort darangemacht, die wildesten Exemplare zu roden. Fast zehn Jahre hat es gedauert, bis der akkurat gestutzte Rasen, etwa durch die Einarbeitung von Pferdeäpfeln und Kompost, zu einem reichen Garten wurde: zu einem Areal voller Nutz- und Wildpflanzen, „es sind an die 300 Sorten“, ist Junger sicher. Auf mehrere Sektoren haben sie sie verteilt: „Es gibt einen englischen Teil, mit Pflanzen aus London, einen istrischen Teil von Exkursionen, Gebirgspflanzen aus dem Pinzgau und Kräuter aus der Donau-Umgebung.“ Dazwischen Obstbäume, kleine, halb- und viertelstämmig.

Hinterm Haus wuchert Beruf- oder Beschreikraut – die Kapruner Bergbauerntochter verlässt sich da auf großmütterliches Wissen, denn angeblich bieten diese mittlerweile mannshohen kamilleähnlichen Pflanzen dem Haus und seinen Bewohnern Schutz. Nur einmal im Jahr mäht Junger sie, mit der Sense, das hat die Krankenschwester und Kräuterpädagogin schon früh gelernt. So wie den Umgang mit Pflanzen, „eigentlich lässt sich mit jeder etwas anfangen, Rosenblätter für den Zucker, Johanniskraut als Ölansatz, Giersch als Strudelfülle“.

Einkochen, einlagern

Demgemäß ist die Küche ständig in Gebrauch, es wird eingekocht und zu Pesto verarbeitet. In der Veranda hängen Kräuter zum Trocknen, die Kästen sind voller Gläser. So viel Junger und Hauer-Pavlik an Zeit und Energie in den Garten investierten, so wenig war dies beim Haus nötig. Die Vorbesitzer haben es in einem sehr guten Zustand hinterlassen, wenn auch nicht modern, doch gemütlich mit einem Stüberl und einem kommoden Schlafgemach unter Dach. Angesichts der guten Substanz hält Hauer-Pavlik es für Geldvernichtung, es abzureißen und durch einen stylishen Architektenbau zu ersetzen (wie in der neuen Kleingarten-Generation mittlerweile üblich). Nur bei niedrigen Temperaturen sei das Objekt nicht ideal, ein Holzofen im Kleingarten kein Thema. Strom für die beiden aber auch nicht. „Wir heizen doch nicht den Garten.“ Wenn es zu kalt ist, fahren die beiden einfach in ihre Wohnung in der Leopoldstadt. Ganz in den Kleingarten zu übersiedeln ginge für sie gar nicht, bei all den vielen Dingen, die ihnen lieb sind, etwa Hauer-Pavliks mehrere Kubikmeter Schallplatten. Auch die Infrastruktur an der unteren alten Donau ist nicht so, dass die beiden hier ganzjährig leben wollten, das nächste Geschäft zehn Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Dann wird eben eingelagert, palettenweise, erzählt Hauer-Pavlik, „fast wie mit dem Hubschrauber auf der Almhütte“. Die Nachteile überwiegen kaum, selbst die vielen Arbeiten im Frühling und Herbst stören nicht. Schneiden, streichen, die Tonnen an Laub rechen, wenn sich die hundertjährige Pappel kurz einmal schüttelt: „Wenn wir nach dem Winter wieder hierher übersiedeln, ist das fast die beste Zeit im Jahr.“

Und je näher der Sommer kommt, desto mehr wächst und gedeiht alles von allein. Nur wenig Wartung braucht es: Jeden Abend machen die beiden eine Runde durch den Garten, um einen Sack Schnecken einzusammeln, der im Bach zur Lobau landet. Dabei bekommen die Viecher in der Junger-Hauer-Pavlik'schen Wildnis nicht einmal viel zu fressen: „Wildpflanzen haben zu viele Bitterstoffe. Tomaten und Pfefferoni sind nicht anfällig. Und die Zucchini haben wir in Töpfen mit Überrand.“ Ausgetrickst.

IM KLEINGARTEN

Im Wiener Kleingartengesetz sind alle baulichen Maßnahmen geregelt – z. B. dürfen Kleingartenwohnhäuser aktuell 50 m2 bebaute Fläche aufweisen, Kleingartenhäuser nur 35 m2. In den meisten Siedlungen kann nur das Haus erworben werden, das Grundstück wird auf 99 Jahre verpachtet (Superädifikat). Info: www.kleingaerntner.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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