Der türkische Premier Erdoğan kommt nicht zu einem Rhetorik-Privatissimum nach Wien, sondern, um Wahlkampf zu führen. Das gehört sich einfach nicht.
Der türkische Ministerpräsident, Recep Tayyip Erdoğan, ist ein freier Mann und Österreich ein freies Land. Er kann nach Wien kommen, wann und für wie lange er will. Er kann zwischen der Donaustadt und Ottakring auch sagen, schreiben, aufzeichnen und twittern, was ihm gerade in den Sinn kommt. Und er kann die Welt von Wien nach Lust und Laune mit YouTube-Videos seiner Auftritte beglücken. Denn im Gegensatz zur Türkei sind hierzulande der freien Meinungsäußerung keine oder kaum Grenzen gesetzt.
Erdoğan möge seinen Wien-Besuch jedoch bitte nicht als Rhetorik-Privatissimum verkaufen. Die offizielle Propagandadarstellung, dass der türkische Premier für eine „private Feier“ nach Wien fliege, ist geradezu absurd. Der Mann soll am Donnerstag in der Albert-Schultz-Halle eine Rede vor tausenden Anhängern halten, die seine Groupie-Vereine zusammengetrommelt haben. Das ist ein zutiefst politischer Akt und kein Stadtausflug. Die Stippvisite dient zwei Zwecken, einem konkreten und einem ideologischen.
Die Veranstalter von UETD (Union of European Turkish Democrats) behaupten zwar eisern, ihr Stargast beehre sie lediglich, um mit ihnen ihr Zehn-Jahr-Vereinsjubiläum zu feiern. Erdoğan wird jedoch sicher die Gelegenheit nützen, um Wahlkampf in Wien zu führen. Im August wird der türkische Präsident erstmals direkt vom Volk gewählt. Die regierende islamische AKP hat zwar offiziell noch immer keinen Kandidaten nominiert. Doch es gilt als offenes Geheimnis, dass Erdoğan selbst in den Ring steigen wird.
Wahlberechtigt sind auch Auslandstürken. In Österreich gibt es einige. Laut Statistik Austria lebten am 1. Jänner 2014 exakt 114.740 türkische Staatsbürger zwischen Wien und dem Bodensee. Ein paar davon werden wohl ihre Stimme abgeben, wenn sie richtig angesprochen werden.
Ein kurzer, vielleicht erhellender Vergleich zwischendurch: In Österreich wohnen derzeit 164.820 deutsche Staatsbürger. Kann sich irgendjemand erinnern, dass Angela Merkel eine ihrer Wahlkampfveranstaltungen in Wien abgehalten hätte? Sie wäre nicht auf die Idee gekommen, auf Markt-, Fußball- oder Eishockeyplätzen außerhalb der Grenzen Deutschlands für sich und ihre Partei zu werben. Das gehört sich nämlich ganz einfach nicht. Von der Spitzenkandidatin der CDU wäre jedoch wenigstens nicht zu befürchten gewesen, dass sie polarisieren und Emotionen schüren würde. Bei Erdoğan ist das anders, womit wir bei einem grundlegenden Problem angekommen wären.
Wie schon bei seinem Auftritt in Köln zu hören war, geriert sich der AKP-Chef als Schutzherr der Türken im Ausland. Er sagt ihnen zwar, dass sie brav Deutsch lernen und sich integrieren sollen, warnt sie aber eindringlich, sich zu stark anzupassen und ihre Kultur aufzugeben. „Assimilation ist ein Verbrechen“, lautet sein Mantra. Warum das strafbar sein soll, kann vermutlich nur Erdoğan beantworten.
Wer einmal Türke war, ist für ihn offenbar immer Türke. Das mag autosuggestiv das Selbstvertrauen der türkischen Nation stärken. Doch wie man in den vergangenen Jahrzehnten sehen konnte, macht es das Leben von Migranten nicht leichter, wenn das Mutterland nicht loslässt. Zuletzt waren in Österreich nach einer langen Zeit des Schweigens, des Wegsehens und auch der Intoleranz zumindest atmosphärisch Fortschritte in der Integration zu beobachten. Und jetzt kommt der Sultan nach Wien, um sich als Protektor aufzuspielen und die Stimmung anzuheizen. Wem soll damit geholfen sein, außer Erdoğan selbst?
Es besteht zudem auch kein Bedarf, die Polarisierung der türkischen Gesellschaft, die Spaltung in Gegner und Verehrer des Premiers, nach Wien zu tragen und vor der Kulisse einer Eishalle mit Massendemos nachzustellen.
Als jüngstes Regierungsmitglied übernahm Außen- und Integrationsminister Kurz die Aufgabe, Erdoğan öffentlich zu warnen, die türkische Gemeinde in Wien mit Brandreden zu spalten. Zu Recht und aus gutem Grund. Das ist ehrlicher und zielführender, als auf Tauchstation zu gehen. Diese Rolle übernahmen der Bundeskanzler und der Bundespräsident. Quelle surprise.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2014)