Der türkische Premier versuchte, seinen Anhängern in der Albert-Schultz-Halle Selbstvertrauen einzuimpfen – und schlug dabei einen historischen Bogen zurück bis zu Sultan Süleyman.
Wien. Seine Anhänger schwenkten Fahnen, sangen Lieder, huldigten ihrem Helden. Der türkische Premier trat in der Albert-Schultz-Halle in Wien-Kagran wie ein Popstar vor seine Fangemeinde. Das Eishockey-Stadion war zu klein, um sie alle zu fassen. Dort hatten lediglich 6000 seiner Getreuen Platz. Vor der Halle jubelten noch einmal 7000 Sympathisanten Erdoğans einer Großleinwand zu.
Der Premier holte zu einer ähnlichen Rede aus wie schon vor zwei Wochen in Köln. „Stolz“ war auch diesmal sein Schlüsselwort. „Ich habe die Grüße von 77 Millionen Bürgern der Türkei im Gepäck“, rief er seinen Wiener Türken zu. „Wir waren immer stolz auf euch.“ Die historischen Bögen, die er schlug, führten ihn zurück bis ins frühe 16. Jahrhundert. Die Türken in Europa seien alle Enkel von Sultan Süleyman, dem Prächtigen.
Das ist insofern bemerkenswert, als dieser osmanische Herrscher für die erste Türkenbelagerung 1529 verantwortlich zeichnet. Doch Erdoğan hatte gleich auch beruhigende Worte parat. „Niemand muss sich vor uns fürchten“, sagte er. Die Türken seien gekommen, um die Herzen der Wiener zu erobern.
Breiten Raum widmete der türkische Regierungschef den wirtschaftlichen Erfolgen seines Landes. Früher habe man auf Schokolade aus Europa gewartet, jetzt baue die Türkei Großflughäfen und Hubschrauber. „Ihr könnt stolz sein auf diese Türkei.“
„Lernt gut Deutsch“
Zum Thema Integration äußerte sich Erdoğan nur knapp, und zwar genauso wie schon in Köln: Er rief die Auslandstürken auf, sich zu integrieren, gut Deutsch zu lernen, sich aber nicht zu assimilieren.
Weitgehend friedlich verliefen die zwei Demonstrationen gegen den Erdoğan-Besuch: Am Praterstern versammelten sich rund 6000 kurdische, alevitische und kommunistische Demonstranten und zogen Richtung Donauzentrum; die Veranstalter hatten mit 10.000 Teilnehmern gerechnet. Auf einem Transparent war „Mörder, Dieb, Diktator, Fundamentalist“ zu lesen. Nur als in der Lasallestraße aus einem Lokal eine Flasche auf den Demonstrationszug geworfen wurde, kam es zu einem kurzen Gerangel und die Polizei musste Pfefferspray einsetzen.
FPÖ-Chef Strache kritisierte, dass durch einen „Privatbesuch Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt“ würden; auch sei völlig unverständlich, dass der österreichische Steuerzahler für den ausländischen Gast die Kosten für die Veranstaltungssicherung übernehmen müsse. Die verhaltene Reaktion der Regierung zeuge „von völliger Ideen- und Hilflosigkeit gegenüber dem Wahlkampfauftritt eines ausländischen Despoten“.
„Respekt sieht anders aus“
Während der türkische Premier noch sprach, gab Außenminister Sebastian Kurz am Minoritenplatz eine Pressekonferenz mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Thema Nummer eins war auch dort Erdoğan. Über den Inhalt der Rede Erdoğans könne er noch nichts abschließend sagen, weil sie noch nicht zu Ende sei. Doch allein die Bilder würden zeigen, dass Erdoğan den Wahlkampf nach Österreich getragen habe, was hier für Unruhe sorge. „Respekt vor einem Gastland sieht anders aus“, so Kurz.
Heute, Freitag, wird er im Außenamt mit dem türkischen Regierungschef zusammentreffen. Bei dieser Gelegenheit will ihm Kurz den „österreichischen Standpunkt in Sachen Integration klarmachen“. „Es ist schlecht, wenn es eine aggressive Sprache gibt, weil uns das im Integrationsprozess zurückwirft.“ Auch Steinmeier äußerte sich: „Erdoğans Auftritt macht Mühe. Aber das muss eine Demokratie aushalten.“ Dann machten sich die beiden auf zu einem Heurigenbesuch in Grinzing.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2014)