Princip ein "Held" - und wieder alle gegen Serbien

Ein Ort, der das 20. Jahrhundert prägte: Die Stelle des Attentats von Sarajewo
Ein Ort, der das 20. Jahrhundert prägte: Die Stelle des Attentats von SarajewoAPA/EPA/FEHIIM DEMIR
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Mit Präsident Nikolić an der Spitze wehrt man sich in Serbien erbittert dagegen, eine Mitverantwortung am Ersten Weltkrieg zugeschrieben zu bekommen.

Der Staat ist in Gefahr. Die ganze Nation. Mindestens. Wer Ende vergangener Woche die Rede von Serbiens Präsidenten Tomislav Nikolić zur Eröffnung der Belgrader Tagung „Die Serben und der Erste Weltkrieg" erlebte, konnte diesen Eindruck bekommen. Organisiert wurde die Konferenz von der für ihre mangelnde Distanz zum Nationalismus bekannte Akademie der Wissenschaften und Künste, Nikolić und Patriarch Irinej gaben ihr den höchsten weltlichen und geistlichen Segen.

„Wir Serben stehen einem Versuch der Geschichts-Verfälschung in Bezug auf die Ursachen des Ersten Weltkriegs gegenüber", gab Nikolić gleich zu Beginn die Marschrichtung vor. Was nützten Beweise und Tatsachen, meinte der Präsident, wenn Einzelne sie aus Kontext reißen, ihre Bedeutung drehen und wenden, ihnen ein neues Gewand geben würden? Dann werde „die Lüge zur global platzierten Wahrheit, und in dieser Wahrheit werden große Taten zu einer großen Schande, Mut wird zu Terrorismus, und Edelmut zu Schwäche." Der serbische Kampf für Freiheit, der ein Jahrhundert lang weltweit Symbol des Kampfes für Gerechtigkeit und Wahrheit gewesen sei, werde in den Schmutz geworfen. Die Absicht dieser Neudeutung, der sich Journalisten und „sogenannte Wissenschaftler" anschlössen, diktiert von einer „Politik der Sieger": „Dass die Welt glaubt, die Serben provozierten diesen Krieg, der zehn Millionen Menschenleben forderte. hat." Soweit das präsidentielle Pathos.

Reibebaum „Schlafwandler".

Dass sich Nikolić wie seit Monaten viele in Serbien so ereifert, liegt an einem bisher nicht auf Serbisch erhältlichen Buch: „Die Schlafwandler" des in Cambridge lehrenden Historikers Christopher Clark. Er sieht als Triebfeder des Attentats von Sarajewo überwiegend die serbische Geheimorganisation „Schwarze Hand", deren Anführer gleichzeitig Chef des Militärgeheimdienstes war, und weniger die ausführenden Attentäter aus den Reihen der „Jungbosnier". Clark legt auch dar, dass Serbiens damaliger Premier Nikola Pašić von Anschlagsplänen wusste und eine diffuse Warnung an Wien ergehen ließ.

Das ist weder neu, noch wird es von serbischen Historikern wie Dragoljub Živojinović, der die Konferenz der Akademie organisierte, bestritten: „Revisionisten wie Clark behaupten noch immer, dass Serbien verantwortlich ist, aber Clark kann man ja nicht ernst nehmen", meint Živojinović im Gespräch mit der „Presse am Sonntag", und weiter: „Wir wollten ein für allemal zu klären: Wer ist verantwortlich für diesen Krieg? Serbien nicht, das sollte allen klar sein, und das hat diese Konferenz bestätigt." Wenn einzelne - aus der Schwarzen Hand - die Attentäter mit Waffen ausgestattet haben, könne man das doch nicht dem serbischen Staat in die Schuhe schieben.

Nur, tut das Clark überhaupt? Ausdrücklich sagte er bei einer anderen, stärker international ausgerichteten Konferenz kürzlich in Belgrad: „Serbien war kein Schurkenstaat." Die Ursachen scheinen also tiefer zu liegen. Dubravka Stojanović, ebenfalls Historikern in Belgrad, allerdings Kritikern der Sicht der Akademie, sieht darin den Versuch, den in nationalistischen Kreisen verbreiteten „Opfermythos" zu bewahren. Und mit diesem verträgt sich eine Teil-Verantwortung, wie groß oder klein auch immer, schlecht.

Princip als Opfer

Die Diskussion verengt sich auf zwei Fragen: Trägt Serbien eine Mitschuld? Und: Ist Gavrilo Princip ein „Terrorist" oder ein „Held". Präsident Nikolić hat beide ja bereits hochoffiziell beantwortet. Die zweite Frage - Held oder Terrorist - ist laut Stojanović auch deshalb so ubiquitär, weil sich damit gut Politik machen lässt: „Man braucht diese einfachen Fragen, weil man dann einfache Antworten bekommt, die sich in Slogans umsetzen lassen. Und wenn man sagt: ,Er ist ein Held‘ dann ist das schon wie eine ID."

Interessant ist die Antwort, die die serbische Literatur gibt: Sowohl Biljana Srbljanović („Dieses Grab ist mir zu klein", geschrieben fürs Wiener Schauspielhaus) und Milena Marković („Drachentöter", siehe „Presse"-Kritik vom 13. Juni) verweigern sich der Dichotomie und präsentieren Princip als Opfer, erstere vor allem als Opfer der Schwarzen Hand, letztere vor allem als Opfer der Okkupation. „Es ist nicht nur gefährlich, sonder auch dumm, eine heutige Terminologie, eine heutige Perspektive auf etwas aus einer ganz anderen Epoche anzuwenden", meint Marković. Im 19. Jahrhundert etwa sei es völlig normal gewesen, ein Nationalist zu sein. „Der Diskurs über ein so wichtiges Thema muss profund und verantwortungsbewusst angegangen werden, nicht schwarz-weiß. Jede oberflächliche Interpretation, die denen nützt, die gerade an der Macht sind, kann gefährliche Konsequenzen haben."

Was Markovic an dem Stoff interessiert: "Die Periode, in der sich das Attentat abspielt, ist für uns Schriftsteller extrem aufregend. Es ist die Zeit, in der eine Ära endete, eine Zeit, in der sich wichtige Veränderungen für die Menschheit ereignen." Nach den italienischen und russischen Attentätern seien die Jungbosnier gekommen die "Drachentöter", wie sie in Anlehnung an Nietzsche (Die Geburt der Tragödie) meint: "Es war eine neue Generation, die eine neue, gerechte Welt wollte. Sie waren diejenigen, die eine Periode einläuteten, nach der Dadismus, Revolution und Frauenwahlrecht kamen. Das ist für mich die Bedeutung dieser Geschichte in einer Hinsicht. In einer anderen ist es eine mehr rationale Auffassung: Als Angehörige einer kleinen Nation bin ich natürlich gegen jede Form von Imperialismus."

Sympathie für Sozialrervolutionär Princip

Marković streift in ihrem Stück auch die sozialen Probleme serbischer Bauern in Bosnien als eine der Ingredienzien, die zum Attentat führten. In Künstlerkreisen hegt man für Princip vor allem deshalb Sympathie, weil man ihn als Sozialrevolutionär betrachtet. „Viele Missverständnisse über das Attentat kommen daher, weil dieser Aspekt völlig vernachlässigt wird," sagt der Regisseur Srdjan Koljević, der gerade einen Film über einen der Pflichtverteidiger der Attentäter dreht, im Interview: „Als diese jungen Bosnier über die Grenze nach Serbien kamen, sahen sie, dass man als Bauer auch frei sein kann, dass man nicht unter einem Feudalsystem leben muss wie daheim."

Mit der positiven Interpretation der Schüsse Princips als „Schüsse für die Freiheit" tritt beim Begriff „politischer Mord" das Adjektiv in den Vordergrund: „Sie hatten ja einen christlichen Hintergrund, sie wussten, dass es ein Verbrechen ist, einen Menschen zu töten", sagt Koljević, der aus heutiger Sicht die Tötung des Erzherzogs und seiner Frau ebensowenig gutheißt wie seine Schriftsteller-Kolleginnen: „Aber es war ein politischer Mord."

„Kolonialsystem wie im Kongo"

Der Historiker Dušan Bataković griff bei einer Tagung diesbezüglich in die Vollen: „Serbien damals war ein Beispiel für Demokratie und Menschenrechte, während Österreich im Mittelalter verharrte. Mlada Bosna wollte Freiheit, und Österreich errichtete ein Kolonialsystem wie im Kongo." Das aber könne man einer so alten Nation wie der serbischen nicht antun: „Princip war ein Mandela mit falschen Methoden."

Bataković argumentiert - was der offiziell gewünschten Sichtweise entgegenkommt - dass die Schwarze Hand nur bei der Logistik half und von Princip und seinen Mit-Attentätern instrumentalisiert wurde: „Die Schwarze Hand hatte 1914 faktisch aufgehört zu existieren. Ihr Führer Apis wollte Franz Ferdinand gar nicht töten, er wollte ihn nur erschrecken." Seiner Kollegin Stojanović nötig das nur ein müdes Lächeln ab: „19-jährige Schüler hätten einen bekannten Killer, der 1903 den König und die Königin tötete, instrumentalisieren sollen? Also wirklich, das ist ja nicht einmal mehr intelligent."

Für Streit über den „Großen Krieg", wie er in Serbien oft genannt wird, ist also innerhalb der Zunft weiter gesorgt. Und in der Politik sowieso. Wenn am 28. Juni in Sarajewo der tödlichen Schüsse gedacht wird, denen ein Monat später der Kriegsbeginn folgte, wird die serbische Führung fehlen. Mit dem Attentat will man nichts zu tun haben. Premier Aleksandar Vučcić und Präsident Nikolić werden an diesem Tag dennoch in Bosnien sein. In der Republika Srpska, dem serbisch dominierten Landesteil: Mit Eröffnung von „Andrićgrad" - ein der Phantasie des in ungesunde Nähe zur Politik geratenen Meister-Regisseurs Emir Kusturica entsprungener Annex von Višegrad - werde man den Vidovdan begehen, den wichtigsten serbischen Feiertag. Das Attentat erwähnte er in der Pressekonferenz zwar auch noch, wies aber darauf hin, dass in Belgrad erst am 28. Juli die großen Gedenkfeiern zum Krieg stattfänden. Also am Tag des österreichischen Angriffes auf Serbien. Ob es dann - wie zu Jahresbeginn von Regierungsseite ventiliert, auch in Belgrad ein Denkmal für Princip geben wird, ist noch immer nicht ganz klar.

"Für die Serben ist Geschichte keine Statistik"

„Warum gehen Sie ausgerechnet nach Višegrad? Wenn sie nicht nach Sarajewo wollen, weil sich dort ihrer Meinung nach eine politische Manipulation des Attentates ereigne, warum stellen sie dem eine andere Manipulation entgegen?", kommentierte das der bosnische Schriftsteller Miljenko Jergović in der Belgrader Zeitung „Danas".

Zum Schluss noch einmal Präsident Nikolić, diesmal anlässlich einer Ausstellungs: „Für einige Völker ist Geschichte zur kalten Statistik geworden. Für Serbien nicht. Weder die mittelalterliche, noch die unter den Türken - besonders die der Aufstände gegen sie - nicht die der Balkankriege, nicht der Zweite Weltkrieg, und am allerwenigsten der Große Kriege. Für die Serben sind das nicht reine Statistiken, Daten, Zahlen." Die Serben trügen ihre Geschichte in „Hirn, Herz, Genen und Knochen, geerbt von den Vorfahren." Möglicherweise ist genau diese Haltung zur Geschichte das Problem.

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