»Die Justiz ist mit dem Thema überfordert«

Der Präsident des deutschen Cybersicherheitsrates, Arne Schönbohm, sieht Chancen und Gefahren des Deep Web gleichermaßen und meint, dass die Strafverfolgung im Internet derzeit weitgehend unmöglich ist.

Was ist das Deep Web aus Ihrer Sicht? Ein Tummelplatz der Halbwelt oder ein großer Datenspeicher?

Arne Schönbohm: Sowohl als auch. Das Deep Web ist beides. Das Internet ist generell auch ein Tummelplatz der Kriminellen, weil das Thema der Strafverfolgung im Netz derzeit nur sehr mäßig ausgeprägt ist. Die Seiten im Deep oder Dark Web sind nicht suchmaschinenoptimiert, da fühlen sich die Kriminellen sichtlich wohl.

Nützen Kriminelle das Deep Web nun tatsächlich häufiger, und was machen die Behörden dagegen?

Das Deep Web ist deutlich größer als das normale, sogenannte Visible Web. Sie können sich das wie einen großen Ozean vorstellen. Je größer das Datenmeer, umso mehr Fische schwimmen dort herum. Das macht es den großen leichter, die kleinen unbeobachtet zu fressen. Für die Sicherheitsorgane ist die große Herausforderung daher, sich dieser Thematik anzunehmen. Dabei geht es um unterschiedliche Facetten der Kriminalität wie beispielsweise Kinderpornografie, Waffen- und Drogenhandel. Im Dark Web ist es für die Behörden aufgrund der dort herrschenden Anonymität de facto unmöglich, eine Verfolgung der Täter durchzuführen. Das ist ja im Visible Net schon eine extreme Herausforderung.

Wie hoch ist die Aufklärungsquote bei Fällen von Internetkriminalität?

Generell ist die Aufklärungsquote bei Strafverfolgungen im Internet sehr gering. Diese ist beispielsweise in Deutschland weniger als zwei Prozent, und wir sprechen hier nur von jenen Fällen, bei denen es überhaupt zur Strafverfolgung gekommen ist. Dabei handelt es sich vorwiegend um Delikte wie Betrug, Diebstahl von Zahlungsdaten oder Identitätsdiebstahl.

Sind vor diesem Hintergrund die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen ausreichend?

Jedes Mitgliedsland in Europa hat eigene Strafgesetze. Im Internet haben wir es aber mit internationalen Sachverhalten zu tun. Und da hinkt die Strafgesetzgebung aus meiner Sicht deutlich hinterher. Gleichzeitig ist das Thema der Datenerfassung juristisch nicht klar geregelt. Auf der einen Seite haben wir zu wenig Ermittler, die überhaupt dazu in der Lage sind, diese Straftaten zu verfolgen. Auf der anderen Seite führt das dazu, dass ein Großteil der Gerichte ebenfalls nicht darauf vorbereitet ist. Die gesamte Justiz ist mit dem Thema überfordert. Der Chef des deutschen BKA, Jörg Ziercke, hat auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes im vergangenen Jahr dazu gesagt, dass wir den Kampf gegen die Internetkriminalität bereits verloren hätten.

Warum wächst das Deep Web eigentlich so stark?

Weil es weniger kontrollierbar ist. Hier tauschen Menschen Informationen aus, die anonym bleiben wollen, die sich der Überwachung und Beobachtung entziehen wollen. Das können ganz normale Unternehmen sein, Bürger oder Aktivisten und Hacktivisten, die Computernetzwerke als politisches Protestmittel einsetzen. Diese Leute sagen: „Ich will nicht, dass der Staat weiß, was ich tue.“ Sie wollen nicht offenlegen, welche Informationen genau ausgetauscht werden. Das ist nicht zuletzt auch ein Resultat der Überwachungsskandale in der jüngsten Vergangenheit.

Universitäten haben das Deep Web als Quelle von Forschungsdaten entdeckt. Ist der geheime Forschungsschatz wirklich so groß?

Sie müssen sehen, welche Fortschritte das Internet der Gesellschaft insgesamt gebracht hat. Ich spreche von der Entstehung der Wissensgesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist auch das Deep Web zu sehen, und es macht wenig Sinn, etwas zu verteufeln, das man noch gar nicht erforscht hat. Man muss daher im Zusammenhang mit einem möglichen Forschungsschatz evaluieren, was man hier genau findet, und diese Fragen wissenschaftlich untersuchen. Das ist bisher noch kaum geschehen.

Was sind für Sie in diesem Zusammenhang gegenwärtig die entscheidenden Fragen?

Generell ist die Frage zu stellen, ob Teile der Aktivitäten, mit denen wir heute im Internet konfrontiert sind, nicht längst Formen des gesellschaftlichen Fortschritts darstellen. Was ist denn das Kopieren von Daten? Ist es vielleicht eine neue Form der Kreativität und damit eine Weiterentwicklung der Gesellschaft? Letztlich geht es heute in allen Bereichen des wirtschaftlichen und privaten Lebens um drei Aspekte: Effizienz, Emotion und Vernetzung. Vernetzung funktioniert aber nur, wenn die Daten sicher sind und wenn klar ist, wem die Daten gehören. Die Frage, wem die Daten gehören, ist damit die wichtigste politische Frage der Gegenwart.

Steckbrief

Arne Schönbohm
Vorstand BSS AG und Cybersicherheits-
experte.

Präsident des 2012 gegründeten deutschen Cybersicherheitsrates.

Studium internationales Management in Dortmund, London und Taipei, von 1995 bis 2008 bei der EADS beschäftigt, zuletzt als Vice President Commercial and Defence Solutions. Seit Juni 2008 Eigentümer von Schönbohm Consulting, seit 2008 Vorstand der BSS BuCET Shared Services AG. Seit 2012 Mitglied der Cyber Security Coordination Group.

Privat beigestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2014)

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