Kein gerechter Krieg?

Replik. Mit ihren Aussagen zum ungerechtfertigten Krieg gegen Hitler zeigt sich Margot Käßmann nicht unerschrocken, sondern unbelehrbar.

Mit ihrer steilen These, kein Krieg der Welt, nicht einmal der Krieg der Alliierten gegen Hitler, könne jemals ethisch gerechtfertigt werden, hat die ehemalige evangelische Bischöfin von Hannover und Ex-Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Aufregung gesorgt. Sie äußerte ihre pazifistischen Ansichten nur wenige Tage nach den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des D-Days, der den Anfang vom Ende des Hitler-Staates einleitete.

Das hat Margot Käßmann die scharfe Kritik des Publizisten Henryk M. Broder eingebracht, gegen die sie Anne-Catherine Simon in der „Presse“ (18. 6.) glaubt verteidigen zu müssen. Broders Anschuldigung, Käßmann delegitimiere den Einsatz der Alliierten, sei unbegründet. Während Simon Frau Käßmann mit der Pazifistin Bertha von Suttner vergleicht, wirft sie Broder „glatte Diffamierung“ vor.

Leider irrt Frau Simon. Nicht zum ersten Mal polarisiert Frau Käßmann mit ihrer These, der Krieg gegen Hitler sei letztlich genauso wenig zu rechtfertigen wie andere Kriege auch. Das erste Mal vertrat sie diese Ansicht schon zum Jahreswechsel 2009/2010 im Zuge der politischen Auseinandersetzung um den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan. Schon damals wurde an ihren Aussagen, die als Delegitimation des Kampfes gegen Hitler verstanden werden konnten, zu Recht Kritik geübt, und zwar von Politikern und Journalisten unterschiedlichster Couleur.

Moralisches Fehlurteil

In einer Rede vor dem niedersächsischen Landtag versuchte die Bischöfin zurückzurudern. Die Debatte legte sich zunächst, weil Frau Käßmann im Februar 2010 nach einer Alkoholfahrt von ihren Ämtern zurücktrat.

Moralische Fehlurteile werden durch ihre beständige Wiederholung nicht richtiger. Frau Käßmann zeigt sich nicht mutig und unerschrocken, sondern unbelehrbar. Ihre persönlichen Ansichten decken sich übrigens keineswegs mit der Position der evangelischen Kirche in Deutschland und wohl auch nicht derjenigen in Österreich, die erst 60 Jahre nach dem „Anschluss“ in ihrer Stellungnahme „Zeit zur Umkehr“ ihre Mitschuld am Antisemitismus und am Holocaust eingestanden hat.

Frau Käßmann beruft sich für ihre Sicht der Dinge auf die Friedensdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2007. Diese sucht die klassische Lehre vom gerechten Krieg durch eine neue Lehre vom gerechten Frieden zu überwinden. Eine radikalpazifistische Lesart dieser Denkschrift hat aber am Text keinen Anhalt.

Zwar stellt die EKD klar, dass man mit militärischen Mitteln keinen Frieden gewinnen kann, und setzt auf zivile und völkerrechtliche Mittel der Konfliktlösung und Konfliktvermeidung. Sie spricht aber ebenso deutlich davon, dass unter Umständen auch der Einsatz militärischer Mittel zur Erhaltung oder zur Wiederherstellung des Rechts, ohne das keine Friedensordnung bestehen kann, notwendig und ethisch gerechtfertigt sein kann.

Die Kriterien hierfür sind aber diejenigen, die wir aus der klassischen Lehre vom gerechten Krieg kennen. Gemessen an diesen Maßstäben war der Krieg gegen Hitler gerechtfertigt. Und darum war der 8. Mai 1945 für Deutschland und Österreich auch nicht ein Tag der Niederlage, sondern der Befreiung.

Univ.-Prof. Ulrich H. J. Körtner ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologieund Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Vorstand

des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2014)

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