„Autonomie darf nicht nur ökonomisch sein“

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Konrad Paul Liessmann über Ethik und Abhängigkeiten, Orchideenfächer und Gewinnmaximierung.

Die Presse: Fachhochschule (FH) oder Uni? FH werden generell als praxisrelevanter empfunden, Unis gelten als wissenschaftlicher. Wo liegen die echten Differenzierungen?


Liessmann: Ich teile die Auffassung, die jüngst Erhard Busek, selbst auch Rektor einer FH, geäußert hat: Der Vorteil einer FH liegt in ihrer Praxis- und Berufsorientierung und in ihrer Flexibilität, was die Anpassung an Entwicklungen des Arbeitsmarktes betrifft. Universitäten sind demgegenüber nach wie vor durch die Dualität von Lehre und Forschung gekennzeichnet, sie sind per definitionem wissenschaftsorientiert, sie bilden nicht aus, sondern bieten eine wissenschaftliche Berufsvorbildung mit der Perspektive wissenschaftlicher Weiterqualifizierung an. Ich halte es deshalb auch für falsch, die FH zu forschungsorientierten Quasi-Universitäten hochzustilisieren, und die Universitäten durch die Employability-Ideologie zumindest in den Bachelor-Studiengängen zu FH herunterzuwirtschaften.

Wie abhängig sind wir in unserer Ausbildung von der Wirtschaft und umgekehrt – ist die Wissenschaft „überökonomisiert?


Liessmann: Es ist das gute Recht der Wirtschaft, auf ihre Bedürfnisse hinzuweisen und entsprechende Ausbildungsgänge zu initiieren. Universitäten allerdings sind keine Zuliefererbetriebe für Unternehmen. Wissenschaft, von der auch die Wirtschaft profitiert, kann sich immer noch am besten in Freiheit entfalten. Es ist schon paradox, dass gerade Vertreter des Marktliberalismus in Bildungsfragen einer exzessiven Planwirtschaft huldigen und am liebsten in Fünfjahresplänen Studien- und Absolventenquoten festlegen möchten.


Wie kann man da gegensteuern? Wer, konkret, wodurch?


Liessmann: Die Positionen der Universitäten und anderer Bildungseinrichtungen als wirklich autonome Institutionen müssten von innen und von außen gestärkt werden. Von innen durch einen Widerstand der Institutionen selbst gegen die Ökonomisierung und ihre dümmliche Rhetorik, von außen durch Signale der Politik, dass Bildung und Wissenschaft nicht nur der Wirtschaft, sondern in erster Linie der Öffentlichkeit, dem Gemeinwohl und der Wahrheit verpflichtet sind. Dass Autonomie gegenwärtig nur unter ökonomischen und verwaltungstechnischen Gesichtspunkten gesehen wird, halte ich für einen folgenschweren Irrtum.

Stichwort Ethik: Wie lässt sie sich mit Gewinnmaximierung und Konsumorientierung vereinbaren?


Liessmann: Das hängt von der Ethik ab, die vertreten wird. Für einen Kantianer haben Gewinnmaximierung und Konsumorientierung schlicht keine moralische Bedeutung. Der Kaufmann, der nach Kant seinen Kunden nur deshalb nicht betrügt, weil er ihn als Kunden nicht verlieren will, handelt zwar korrekt, aber ohne moralischen Wert, genauso wie Lustbefriedigung zwar angenehm, aber moralisch insuffizient ist. Natürlich kann man auch eine Ethik des guten Lebens entwerfen, in der das Streben nach Gewinn oder die Lust am Konsum eine gewisse Bedeutung zugeschrieben bekommen, aber schon die antike Ethik, die sich an dieser Idee des guten Lebens orientierte, wusste, dass materielle Güter wohl Mittel, aber nie Zwecke sein können. Dieses Wissen haben wir offenbar vergessen. In einer Wettbewerbsgesellschaft wird aber immer das Gewinnstreben über die Moral siegen, wie man zuletzt wunderbar am Beispiel Heinrich von Pierers, des ehemaligen Siemens-Generals, sehen konnte, der ein pathetisches Buch darüber geschrieben hat, dass nur moralische Unternehmen langfristig am Markt bestehen können, während er selbst offenbar schon tief im Sumpf der Korruption steckte.

Gibt es einen Machtkampf zwischen Geistes- und Naturwissenschaften – wo liegen wir jetzt, wie geht es weiter?


Liessmann: Es gibt und gab meines Erachtens diesen Machtkampf nicht, schon deshalb nicht, weil bis in das 18. Jahrhundert diese Trennung der Wissenschaften nicht existierte. Dieser vermeintliche Kampf wird eher von außen und aus politischen und ökonomischen Gründen in die Wissenschaften hineingetragen. In Wirklichkeit können wir auf keine Wissenschaft verzichten, weil wir gerade in einer komplexen Welt schlechterdings auf keine Form von Wissen verzichten können. Wer hätte noch vor Jahren gedacht, dass Orchideenfächler wie Orientalisten, Islamwissenschaftler und Tibetologen plötzlich zu gefragten Experten werden? Die Zukunft liegt deshalb in der Kooperation der Wissenschaften, nicht in ihrer künstlichen Trennung.

Sie schreiben in Ihrer Theorie der Unbildung, dass Bildungsstätten Orte der Muße und Kontemplation sein sollten, um Freiraum und Zeit zum Denken zu lassen. Bildungsstätten von heute sehen anders aus – wie kann man dieses ursprüngliche Bildungsverständnis in die Realität holen? Und: Bräuchte nicht auch die Wirtschaft dringend solche Freiräume?


Liessmann: Angeblich, so höre ich, gibt es in der Wirtschaft ohnehin mehr Freiräume als in der Wissenschaft. Wer einmal Manager beim Überlebenstraining oder im Selbsterfahrungsseminar beobachtet hat, weiß, was ein Freiraum ist. Die Effizienz- und Kontrollideologie, die gegenwärtig in den Bildungsinstitutionen um sich greift, droht allerdings nicht nur die Bildungsidee selbst zu zerstören, sie wirkt auch in einem klassischen Sinn kontraproduktiv. Man erhöht die Produktivität von Wissenschaftlern nicht, wenn man sie zwingt, ihre Arbeitskraft fast vollständig mit dem Messen und Bewerten ihrer Produktivität zu vergeuden. Am Ende wird es nichts mehr zu messen geben.

Sind die zusehends schwindenden Berufsmöglichkeiten für (reine) Geisteswissenschaftler Mythos oder Wahrheit? Können Sie Studenten in Zeiten wie diesen ein Philosophiestudium empfehlen?


Liessmann: Ich halte dies für einen Mythos, schon deshalb, weil in den Geisteswissenschaften – anders als vielleicht in der Medizin oder bei manchen technischen Studien – noch nie für einen bestimmten Beruf, sieht man vom Lehrberuf ab, ausgebildet wurde. Geisteswissenschaftler mussten immer schon verschiedene Perspektiven ins Auge fassen, sie waren schon flexibel, bevor diese Fähigkeit zu einer Mode wurde. Gerade die Philosophie ist dafür ein gutes Beispiel. Die gute Allgemeinbildung, gepaart mit logischen, analytischen und sprachlichen Kompetenzen, die dieses Studium anbietet, qualifiziert meines Erachtens zum Teil viel besser für eine anspruchsvoll gewordene Arbeitswelt als so manch angeblich praxisorientierte Ausbildung.

ZUR PERSON

Konrad Paul Liessmann, geboren 1953, ist außerordentlicher Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien und als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist tätig. Liessmann ist Österreichs „Wissenschaftler des Jahres 2006“. [APA]

www.homepage.univie.ac.at/konrad.liessmann("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2008)

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