Handelsexperte: „In fünf Jahren 20 Prozent zu viel Geschäfte"

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Die ersten bekannten Einzelhändler sind schon ins Trudeln gekommen. In fünf Jahren gebe es 20 Prozent zuviel Geschäftsflächen, sagt Wolfgang Richter.

„Die Revolution im Handel wird nicht bedeuten, dass die Kunden ein bisschen mehr online einkaufen werden, sondern es wird dramatisch anders", sagt Wolfgang Richter vom Standortberater RegioPlan. Mit diesem Weckruf will er vor allem Betreiber und Investoren von Shopping Centern wachrütteln.

Die ersten Vorboten wie die Insolvenzen von McShark, Niedermayer oder DiTech haben die anstehenden Veränderungen bereits deutlich spüren lassen. Andere Unternehmen wie Kika/Leiner, Eybl/Sports Experts, Baumax und Obi sind ins Trudeln gekommen. Die Flächen im österreichischen Handel sind 2013 erstmals überhaupt zurückgegangen. Die bestehenden Händler betreiben ihre Expansion, wenn überhaupt noch, auf Sparflamme, die Zahl neuer Anbieter ist höchst überschaubar. Es ist kein Big Bang, der dem klassischen Handel an die Substanz geht, sondern ein schleichender Prozess, der nicht sonderlich spektakulär abläuft. Aber gerade das mache die Sache so gefährlich, sagt Richter.

Druck zum Handeln ist ungleich verteilt

Und nicht alle Glieder in der in der Kette des Einzelhandels vom Kunden, über die Händler, die Vermieter bis hin zu den Investoren verspüren den gleichen Veränderungsdruck. Der Kunde sei zu 100 Prozent in einer Veränderungsstimmung, ortet Experte Richter. Vor allem die Digital Natives als neue Kundengeneration, getrieben von der Technik, agieren höchst flexibel und mobil.

Diese neuen Verhaltsweisen mit extremen Auswirkungen auf den Konsum kommen aber nur bei etwa 50 Prozent Händler an, schätzt der Berater. Diese Hälfte habe erkannt, dass sich "Dramatisches" verändern werde, nur fehlen die Rezepte. Bei den Vermietern und Shopping-Center-Betreibern, die Herren über die Geschäftsflächen, sei erst bei einem Viertel ein Veränderungsdruck vorhanden und die Investoren würden derzeit überhaupt noch im Paradies leben. Was soll denn passieren, sichern doch ohnehin langfristige Mietverträge die regelmäßigen Mieteinkünfte, denken sich Geldgeber.

Online nützt die "letzte Meile"

Ein altgedienter Handelsfunktionär soll den steigenden Online-Anteil im Einzelhandel gar mit "das mit dem Internet wird auch wieder vorübergehen" kommentiert haben, wird hinter vorgehaltener Hand erzählt. Das kostet dem langjährigen Berater Richter mehr als ein Schmunzeln.

Der klassische Handel überlässt dem Konsumenten die letzten Meter in der Logistikkette, vom Geschäft bis zum Nachhause. Da kommt nun das Internet, stößt genau in diese Lücke und bietet diese „last mile" als sein Geschäft an. Das Internet, und da meint Richter vor allem Pure Player wie Amazon und Zalando, die keine stationären Geschäfte betreiben, lerne "verdammt schnell".

"Die Pure Player haben auch erkannt, dass die Kunden dem Internet sehr viele Informationen spenden", macht Richter auf einen Kernpunkt aufmerksam. Nicht umsonst habe Facebook ein Unternehmen wie WhatsApp um 19 Milliarden Dollar gekauft, das es vor fünf Jahren noch gar nicht gab und bloß 65 Mitarbeiter hat. Bei Amazon & Co. spiele ein anderes Denken die Hauptrolle, sie seien nicht mit "dem Müll klassischer Händler" belastet, so Richter. Diese würden sich Gedanken machen, ob eine Vergrößerung eines Geschäfts um ein paar Quadratmeter machbar ist oder ob ein Mietvertrag verlängert werden soll. Im Übrigen hätten auch die Händler mit ihren Kundenkarten jede Menge Daten zur Verfügung, nur es werde halt nicht genutzt, meint der RegioPlan-Chef.

Löwenanteil durch Pure Player

Zehn Prozent des österreichischen Einzelhandelsumsatzes wurden 2013 im Internet getätigt, etwa die Hälfte davon geht an ausländische Anbieter. Richter schätzt, dass 75 Prozent des gesamten Online-Umsatzes von aussschließlich im Internet tätigen Händlern, also den "Pure Playern", gemacht wird - und nur 25 Prozent von den klassischen Einzelhändlern.

Schon in fünf Jahren sollen laut Richter mindestens 20 Prozent des Einzelhandelsgeschäfte über den Online-Kanal laufen. Zudem werde der Kuchen im Einzelhandel insgesamt nicht größer, vielleicht gerade mal um die Inflationsrate, malt Richter ein Schreckensszenario. RegioPlan geht davon aus, dass der Umsatz im stationären Einzelhandel von 55 Mrd. Euro im Vorjahr auf 47 Mrd. Euro in 2019 zurückgehen werde. In der Folge komme es zu einem Überhang an Geschäftsflächen von etwa 20 Prozent.

Nur Ware herzeigen werde in Zukunft nicht mehr ausreichen, denn das könne das Internet auch. Richter sieht es als Hauptaufgabe von Vermietern und Zentrumsbetreibern, "Neues auf die Beine zu stellen". Die Kunden erwarten ein Miteinander von stationär und online, sie wollen nicht nur einkaufen, sie wollen in Einkaufszentren ihre Freizeit verbringen. Da könnten Party-Zonen geschaffen werden oder Eventbereiche wie Kletterwände, meint Richter. "Eigentlich sollten in den Einkaufszentren die belebtesten Zone frei bleiben um dort den Kunden immer wieder Neues zu bieten. Die Vermieter checken sehr wohl, dass etwas geschehen muss, wissen aber nicht was". Auch die Rolle der Verkäufer werde sich sukzessive verändern, glaubt Richter."Diese müssen ihre Ware kuratieren, müssen Psychologen sein und aufgrund der erhöhten Anforderungen auch dreimal so viel verdienen als bisher."

Neue Mietmodelle unumgänglich

Den Finanzinvestoren als letztem Glied in der Kette rät Richter, besser auf ihr zweitlukrativstes Betätigungsfeld nach den Büroimmobilien zu schauen. Sie verspüren bei ihren Handelsimmobilien noch keinen Leidensdruck, deshalb sei ein Veränderungswillen nicht wirklich vorhanden. Sie sollten langfristiger planen und den Vermietern mehr Spielraum für neue Konzepte einräumen. Denn neue Mietmodelle werden kommen müssen, glaubt Richter.

Die Fixmiete bei Geschäftsflächen habe fast ausgedient, die Umsatzmiete werde es auch bald tun. Die Umsätze werden sich auf andere Kanäle verlagern und nicht mehr zuordenbar sein. Daher könnte die Frequenzmiete ein mögliches Zukunftsmodell werden. Der Vermieter müsse dann Zirkusdirektor sein und für Zulauf und Frequenz bei den Kunden sorgen, meint Richter. Das werde aber auch das Risiko der Investoren erhöhen, denn die Zahl der guten Zirkusdirektoren ist überschaubar.

(herbas)

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