Österreichs heikle Beziehung zur EU-Bürokratie

Die EU-Kommission musste auch gegen Österreich das Gemeinschaftsrecht durchsetzen. Dabei gab es Reibungspunkte wie etwa bei Transit oder beim Uni-Zugang. In der Sanktionsfrage blieb die Kommission neutral.

Wien. Angenehm sind die Briefe aus Brüssel nicht. Sie bedeuten für die betroffene Regierung meist Ungemach und eine Einschränkung ihres politischen Handlungsspielraums. Das geschah erst in diesem Frühjahr, als die EU-Kommission die mangelnde Budgetkonsolidierung Österreichs kritisierte. Die geplante Reduzierung des Defizits um lediglich 0,1 Prozentpunkte des BIP für das Jahr 2015 war den Kontrolleuren des Euro-Stabilitätspakts zu wenig. Erst Nachbesserungen durch Finanzminister Michael Spindelegger stellten sie zufrieden. Das Defizitverfahren gegen Österreich wurde letztlich eingestellt.

Die EU-Kommission muss das Gemeinschaftsrecht auch in Österreich durchsetzen. Sie hat dazu mehrere Mittel, die bis zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof und Strafzahlungen reichen. Doch meist kommt es nicht so weit. Jedes Mitgliedsland bekommt von Zeit zu Zeit den Druck aus Brüssel zu spüren. In den meisten Fällen sind die Differenzen rasch beseitigt. Doch gibt es auch Themen, die zu langjährigen Kontroversen führen.

Einen jener zähen Konflikte erlebte Österreich bereits in den ersten Jahren seiner EU-Mitgliedschaft mit den nationalen Regeln für den Lkw-Tansitverkehr. Zwar hatte Österreich im Rahmen der Beitrittsverhandlungen für eine Übergangszeit eine Fortsetzung seiner Beschränkungen durchgesetzt. Doch stellte die EU-Kommission bald klar, dass es keine Grundlage für eine Fortsetzung des sogenannten „Ökopunktesystems“ gebe. Der EU-Vertrag sehe einen freien Binnenmarkt vor, in dem es für den Transport von Waren keinerlei Beschränkungen geben dürfe, argumentierte die EU-Bürokratie. Außerdem stand das Ökopunktesystem im Widerspruch zur Nichtdiskriminierung von EU-Bürgern. Es wurde nämlich ausschließlich für Lkw aus anderen EU-Ländern angewandt. 2003 lief die Übergangsregelung aus. Österreich durfte den Transitverkehr nicht weiter beschränken. Schon 2004 fuhren deshalb um 12 Prozent mehr Lkw über die Brennerautobahn als ein Jahr zuvor.

Der Konflikt um den Transit war damit aber nicht zu Ende. Denn Österreich versuchte auch mit relativ hohen Mautgebühren den Verkehr durch die Alpen einzuschränken. Bald trat die EU-Kommission auch gegen die aus ihrer Sicht überhöhte Maut auf der Brennerstrecke auf. Doch Brüssel suchte – im Bewusstsein der heiklen Lage und der Stimmung in der Bevölkerung – hier einen Kompromiss. Der damalige Verkehrskommissar Karel Van Miert schlug eine Verlängerung der Mautstrecke bis ins Unterinntal vor. Damit wäre die Gebühr je Kilometer deutlich geringer und mit EU-Recht vereinbar gewesen. Doch Tiroler Frächter stellten sich dagegen. Der Maut-Konflikt endete schließlich vor den Richtern des Europäischen Gerichtshofs, die Österreich verurteilten.

Letztlich, so die Erkenntnis, sind Konflikte mit dem EU-Recht immer eine schiefe Ebene. Der Spielraum der EU-Kommission ist bei solchen Auseinandersetzungen sehr gering. Das zeigte sich auch bei einem weiteren schwierigen Thema: den Zugangsbeschränkungen zu Universitäten in Österreich. Auch hier dürfen laut EU-Recht Bürger aus anderen Ländern nicht diskriminiert werden.

Uni-Zugang für Deutsche

Die Sachlage war und ist hier freilich komplexer und nicht so eindeutig wie bei der Transitbeschränkung. Österreichs Regelung sah ehemals nämlich vor, dass Studenten auch in ihrem Heimatland die Berechtigung zum Uni-Besuch haben mussten. Dies schloss vor allem deutsche Staatsbürger aus, die wegen des Numerus clausus daheim nicht studieren durften. Auch dieser Konflikt landete schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof. Und der entschied, dass österreichische Studenten mit ihrem Maturazeugnis gegenüber jenen aus anderen Mitgliedstaaten klar bevorzugt würden. Österreich musste in Folge Studenten aus Deutschland gleichberechtigt zulassen, es konnte nur noch generelle Zugangsbeschränkungen vorsehen. Eine Ausnahme versuchte die Bundesregierung zumindest für das Medizinstudium zu erwirken und argumentierte mit dem drohenden Ärztemangel. Die Studienplätze für EU-Bürger werden hier durch eine Quote von maximal 20 Prozent weiterhin beschränkt. Die EU-Kommission forderte allerdings Belege ein, dass es eine reale Gefahr für einen Ärztemangel gebe. Bis heute ist dieser Streit nicht bereinigt.

Die Transitbeschränkung und die Uni-Zugangsbeschränkung waren die in der Öffentlichkeit am meisten diskutierten Konflikte zwischen Österreich und der Brüsseler Bürokratie. In Wirklichkeit gab es in den vergangenen Jahren aber eine weit größere Zahl von rechtlichen Auseinandersetzungen – von jener über das Glücksspielmonopol (2010) bis zur Energieeffizienz von Gebäuden (2013).

Aus einem heiklen Konflikt, der die EU-Stimmung in Österreich nachhaltig belastete, hielt sich die EU-Kommission freilich heraus. Bei den im Jahr 2000 verhängten bilateralen Sanktionen der damaligen 17 EU-Partnerregierungen gegen die schwarz-blaue Regierung in Wien blieb die EU-Bürokratie neutral. Sie beteiligte sich nicht an den ausgesetzten Beziehungen und arbeitete weiterhin mit der Bundesregierung zusammen.

Der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi versicherte im Februar 2000 ausdrücklich, dass „die Maßnahmen der 17 EU-Staaten gegenüber Österreich die Aktivitäten beziehungsweise die Zusammenarbeit mit Österreich innerhalb der EU-Institutionen nicht einschränken werden“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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