„Ölkännchen waren ein großer Fehler“

Jens Mester erklärt täglich die Arbeit der Kommission. Im „Presse“-Gespräch nimmt er zum Image der Institution Stellung.

Die Presse: Das Image der Kommission ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, der Abwärtstrend setzt sich weiter fort. Was ist an der Art zu kommunizieren schiefgelaufen?

Jens Mester: Mit dieser Frage unterstellen Sie, dass es die Kommunikation der Kommission war, die diesen Imageverlust bedingt hat. Dabei ist gerade wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise insgesamt viel Vertrauen in die Politik – und zwar auf europäischer wie auf nationaler Ebene – verloren gegangen. Die Menschen erwarten Ergebnisse zur Lösung ihrer Probleme; und Europa kann einen wichtigen Beitrag leisten, diese Lösungen zu finden. Viele schieben den Schwarzen Peter reflexartig den Brüsseler Institutionen zu. Dabei muss man bei etwas Licht betrachtet sagen, dass gerade dank der Union eine sehr viel stabilere Lage der Wirtschaft vorherrscht als dies vor ein paar Jahren der Fall war.

Aber gerade in der Eurokrise hat die Kommission wenige Akzente gesetzt. Die Krisenlösung wurde hauptsächlich von den Staats- und Regierungschefs getragen.

Das stimmt nicht. Instrumente wie der europäische Stabilitätspakt, das Aufsichts- und Bankenabwicklungssystem sowie mehr als 30 neue Gesetze im Bereich Finanzmarktregulierung zeigen, dass die Kommission Lösungen vorgeschlagen hat, denen Rat und Parlament zugestimmt haben. Bei der Verteilung von Rettungsgeldern haben aber die Mitgliedstaaten das letzte Wort haben – ganz einfach, weil es ihre Gelder sind.

Mehr als mit wirtschaftspolitischer Koordinierung ist die Kommission in den letzten Jahren aber durch umstrittene Initiativen wie dem geplanten Verbot von Olivenölkännchen auf Restauranttischen aufgefallen. Wurde das Subsidiaritätsprinzip aus den Augen verloren?

Ohne Frage – gerade dieser Vorstoß war zweifellos ein großer Fehler. Das Thema wurde auf Expertenebene zwischen Kommission und Mitgliedstaaten beraten, dass es in einigen Ländern Probleme mit der Qualität des Olivenöls und Betrugsfälle gab. Die Kommission hat dann aber sehr rasch politisch entschieden, dass es nicht auf europäischer Ebene geregelt werden muss. Leider haben solche Dinge das Potenzial, einen Mythos zu kreieren: Aus Brüssel kommt nur Unsinn, der an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeireguliert. Das ist ein falscher Eindruck; und man sollte sich da schon ein bisschen mit der Realität auseinandersetzen und ansehen, wo bestimmte Themen zuerst auftauchen: Nicht etwa in den Büros der Brüsseler Beamten, sondern in Interessenvertretungen, Berufsverbänden, Gewerkschaften, Industrie und Nichtregierungsorganisationen – die dann ihrerseits die Institutionen aufmerksam machen und den politischen Handlungsdruck erhöhen.

...aber es ist die Kommission, die sich dieser Dinge annimmt.

Wenn im Rahmen eines demokratischen Prozesses politischer Druck entsteht, europäisch tätig zu werden, dann ist die Kommission zum Handeln verpflichtet. Doch bevor die Kommission ihre Gesetzesvorschläge macht, wird in der Regel die Öffentlichkeit konsultiert und eine Wirkungsanalyse erstellt. Die Bürger haben also die Möglichkeit, sich mit Ideen einzubringen und Bedenken zu äußern. Seit 2010 haben wir 350 solcher Analysen gemacht. Da geht es um Kosteneffizienz, Verwaltungslasten oder auch die Sozial- und Umweltverträglichkeit. Ich schließe aber nicht aus, dass es in diesem System hier und da zu Fehlern kommt. Da müssen wir uns an die eigene Nase fassen – gerade wenn es darum geht, verloren gegangenes Vertrauen endlich wieder herzustellen.

Nun hat die Kommission das Refit-Programm lanciert, das der Beginn einer Neuausrichtung sein soll. Was beinhaltet das Programm konkret?

Refit ist ein weiterer wichtiger Ausdruck unserer Anstrengungen, die europäischen Gesetzgebungen schlanker, leichter und kostengünstiger zu gestalten. Bei vielen Menschen herrscht allerdings Zweifel vor, dass Brüssel in der Lage ist, zu reduzieren und Dinge wegzulassen. Wenn Mitgliedstaaten oder Verbände so etwas einfordern, wird das leider oft mehr beachtet.

Was bedeutet Refit politisch? Weniger Klein-Klein, dafür mehr große Themen, die für die EU wichtig sind?

Ja. Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, bei denen Europa einen Mehrwert schaffen kann, also grenzüberschreitende oder sogar globale Herausforderungen – wo man durch die Gemeinschaftsmethode viel bessere Resulate erreichen kann, als wenn man das rein national anpacken würde.


Können Sie Beispiele nennen?

Das muss politisch entschieden werden, aber es geht um Klimapolitik, Finanzmarktregulierungen, die Energiesicherheit, auch im Lichte der Ukraine-Krise; grenzüberschreitende Aspekte bei Justiz, Sicherheit, Migration, Asylfragen. Europa bietet gerade für kleine und mittelgroße Staaten eine Möglichkeit, ihren Einfluss in der Welt zu vergrößern und eigene Interessen durchzusetzen.

Wie wollen Sie Kommunikationsdesaster wie jenes der Olivenölkännchen künftig vermeiden? Soll es einen Mechanismus geben, der solche Dinge ausschließt?

Den Mechanismus gibt es. Das System von Wirkungsanalysen und auch die interne, verwaltungsmäßige Vorbereitung von Gesetzesvorschlägen ist ein Sicherheitsnetz, das im Normalfall verhindert, dass so etwas vorkommt. Im Falle der Ölkännchen ist etwas durch dieses Netz gerutscht. Die konsequente Anwendung vorhandener Mechanismen in Kombination mit politischer Wachsamkeit soll verhindern, dass das wieder passiert.

Glauben Sie, dass die Aufteilung der Ressorts in der Kommission zu zersplittert für eine einheitliche, produktivere Gesetzgebung ist?

Das muss ein künftiger Kommissionspräsident beantworten. Auch auf nationaler Ebene gibt es Ressortzuschnitte, die nicht jeden zufriedenstellen. Der jetzige Kommissionschef Barroso aber hat durch eine straffere interne Organisation sichergestellt, dass die Handlungsfähigkeit gegeben ist und so gut wie alle Entscheidungen im Konsens getroffen werden.

Es gibt die Forderung nach einer großen Vertragsänderung für die Union. Was müsste Ihrer Meinung nach am Aufbau der Kommission geändert werden?

Barroso hat gesagt, dass das nicht der Moment für eine Diskussion über neue Verträge und Kompetenzen ist. Jetzt sollte eine breite öffentliche Debatte darüber geführt werden, was wir gemeinsam überhaupt wollen. Dabei geht es aber nicht um Vertragsänderungen: Das wäre angesichts der gewachsenen Europaskepsis in der jetzigen Situation unsinnig. Wir müssen Ergebnisse liefern und keine institutionelle Nabelschau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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