Entscheidungen, die Europa bewegten – oder eben nicht

Nicht jeder Beschluss der EU-Kommission zieht zwangsläufig schwerwiegende Folgen nach sich. Doch im Lauf der Jahre ist es der Brüsseler Behörde immer wieder gelungen, die Weichen in der Union neu zu stellen.

Brüssel. 2009/25/EG – hinter dieser bürokratisch unauffälligen Bezeichnung verbirgt sich eine regulatorische Maßnahme mit großer Sprengkraft und verzögerter Zündung. Denn die Zahlen-Buchstaben-Kombination steht für die sogenannte Ökodesign-Richtlinie der EU-Kommission, die am 20.November 2009 in Kraft getreten ist, dabei die Richtlinie 2005/32/EG ersetzt hat und landläufig als Glühbirnenverbot bekannt ist – wobei die Haushaltsbeleuchtung nur eine von rund 30 Produktkategorien ist, die im Rahmen des Gesetzestexts neu geregelt wurden bzw. werden. Ziel des Unterfangens: Elektrische Haushaltsgeräte, die in der EU verwendet werden, sollen sukzessive weniger Strom verbrauchen und so einen Beitrag zum Umweltschutz leisten – alles in allem kein kontroversielles Ziel. Insofern wurde die Arbeit an der Ökodesign-Richtlinie von der Öffentlichkeit mit mäßigem Interesse verfolgt – was sich schlagartig änderte, als klar wurde, welche Auswirkungen der technokratisch formulierte Gesetzestext auf das Alltagsleben der Europäer haben würde. Dabei ist die Richtlinie keine Schikane realitätsfremder Bürokraten, sondern ein gut gemeinter Versuch, Europas Energiebedarf zu drosseln – nach dem Vorbild Japans, wo die Hersteller von Elektrogeräten per Gesetz zu Effizienzsteigerungen verpflichtet sind.

Den Konsumenten verpflichtet

Richtlinie 2009/25/EG ist ein Paradebeispiel für den Einfluss der europäischen Gesetzgebung. Zwar zieht nicht jede Initiative der EU-Kommission zwangsläufig derart schwerwiegende Folgen nach sich, doch der Brüsseler Behörde ist es im Lauf der Jahre immer wieder gelungen, die Weichen in Europa neu zu stellen – und nachdem die Kommission in erster Linie für das Funktionieren des Binnenmarkts zuständig ist, hatte sie dabei besonders oft das Wohl des Konsumenten im Blick.

Besondere Verdienste hat sich die Brüsseler Behörde bei Reisenden gemacht, die im EU-Ausland von ihrem Mobiltelefon Gebrauch machen wollen, ohne deswegen gleich bankrott zu gehen. In mehreren Schritten, beginnend im Jahr 2009 (und gegen den heftigen Widerstand der Telekomkonzerne), setzte die Kommission die Senkung der Roaminggebühren innerhalb der Union durch – gemäß dem Motto, auf dem Binnenmarkt dürfe es keine tarifäre Wegelagerei geben. Die nächste Reduktion tritt – gerade rechtzeitig zum Beginn der Sommerferien – am 1.Juli in Kraft. Ab dann darf ein ausgehendes Telefonat nicht mehr als 19 Cent pro Minute kosten, für das mobile Surfen im Internet dürfen Betreiber maximal 20 Cent pro Megabyte Daten verlangen. Dessen nicht genug: Spätestens Ende 2015 soll es dann überhaupt keine Roaminggebühren mehr geben – ob die Handynetzbetreiber, denen dadurch ein Körberlgeld entgeht, im Gegenzug die Inlandstarife anheben werden, bleibt freilich abzuwarten. Die Kommission geht jedenfalls davon aus, dass der Wettbewerbsdruck für nachhaltig niedrige Preise sorgen wird.

Apropos Binnenmarkt: Dass der Verkehr von Waren und Dienstleistungen heute (weitgehend) frei ist, ist ebenfalls das Verdienst der Kommission – genauer gesagt des Kommissionspräsidenten Jacques Delors, auf dessen Geheiß 1985 das „Weißbuch zum Binnenmarkt“ erarbeitet wurde. Darin festgehalten wurde zum ersten Mal das Zieldatum 1992 für die Vollendung des damals noch bruchstückhaften Binnenmarkts der Europäischen Gemeinschaft – samt knapp 300 legislativen Maßnahmen, die es bis dahin umzusetzen galt, darunter etwa die gegenseitige Anerkennung der Lebensmittelnormen. Auch beim Euro war die Kommission der Geburtshelfer: 1989 legte Delors einen dreistufigen Plan zur schrittweisen Schaffung einer Währungsunion vor, dessen erste Stufe bereits 1990 verwirklicht wurde.

Visionen mit Mängeln

Der Visionär Delors war spektakulär erfolgreich – mit anderen hehren Zielen lag man allerdings oft kräftig daneben. Als Rohrkrepierer erwies sich etwa die vom Rat initiierte Lissabonner Agenda, der zufolge die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt aufsteigen sollte. Ein ähnliches Schicksal dürfte der 2010 von der Kommission beschlossenen Agenda 2020 blühen, die unter anderem eine Erhöhung der Beschäftigungsquote auf 75 Prozent vorsieht. Die Realität sieht etwas anders aus: Für das laufende Jahr wird eine Quote von 58 Prozent erwartet, 2015 sollen es 58,3 Prozent sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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