Irak und Syrien: Das Kalifat des Abu Bakr al-Bagdadi

File photo of members of the Iraqi Special Operations Forces taking their positions during clashes with the Islamic State of Iraq and the Levant in Ramadi
File photo of members of the Iraqi Special Operations Forces taking their positions during clashes with the Islamic State of Iraq and the Levant in Ramadi(c) REUTERS (STRINGER)
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Am ersten Tag des Fastenmonats hat die Terrormiliz Isil ein grenzüberschreitendes Kalifat ausgerufen. Ihr radikaler Machtanspruch geht über die Region hinaus.

Bagdad. Ist es Größenwahn, Dummheit oder politisches Kalkül? Wahrscheinlich von allem etwas, als der Islamische Staat im Irak und der Levante (Isil) mit einer am Sonntagabend verbreiteten mehrsprachigen Audiobotschaft – es war der erste Tag des sunnitischen Fastenmonats Ramadan – das Kalifat ausrief. Als Grenzen des Territoriums wurden Aleppo in Syrien und die Diyala-Provinz im Osten des Irak angeben. Der Schura-Rat von Isil bestimmte als Kalifen den Chef der Terrorgruppe, Abu Bakr al-Bagdadi, was alles andere als eine Überraschung ist. Er will ein Abkömmling der Familie des Propheten Mohammeds sein. Wegen seiner angeblichen exklusiven religiösen Abstammung hatte al-Bagdadi bereits mehrere Vereinigungen mit syrischen Rebellengruppen platzen lassen, die seine alleinige Führungsrolle als Emir nicht akzeptieren wollten.

Nun hat sich al-Bagdadi mit dem Kalifentitel selbst zum Kaiser gemacht. Er will damit die Geschichte weiterführen, die mit dem Propheten Mohammed im siebten Jahrhundert begann und nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches 1924 zu Ende ging. Mit der Gründung des Isil-Kalifats wird allen existierenden muslimischen Regierungen die Legitimität abgesprochen. Nur al-Bagdadis Herrschaft sei die einzig von Allah abgesegnete Regierungsform. Wer sich dagegen stellt, stellt sich gegen Gottes Willen und ist somit ein Ungläubiger, der bekämpft werden muss.

Bereits vor der Ausrufung des Kalifats hat die Armee im Irak eine Offensive gestartet. Die nördlich von Bagdad gelegene, strategisch wichtige Stadt Tikrit wird seit Wochen von den radikalen Rebellen kontrolliert. Offenbar konnte die Armee zumindest einige Teile der Stadt zurückerobern, die Kämpfe dauern noch an. Die überforderte irakische Armee erhofft sich Hilfe von Syrien und Iran.

Simples und abstruses Gemisch

Die Errichtung eines Kalifats ist der Wunschtraum des modernen Jihadismus, dessen Grundsätze in den letzten 30 Jahren zusammengebastelt wurden. Klassiker sind das Pamphlet über die „Vergessene Pflicht“ des Jihad von Muhammad Abd al-Salam Faraj (1984 wegen Beteiligung an der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al Sadat hingerichtet) oder die Fatwa des Afganistan-Kämpfers Abdullah Azzams, in der der Jihad als Pflicht beschrieben wird, die nach dem Glauben an erster Stelle kommt. Neu verbraten wurden diese Klassiker von al-Qaida-Geistlichen wie Anwar al-Awlaki im Jemen oder Abu Muhammad al-Makdisi, der vor Kurzem erst aus jordanischer Haft entlassen wurde. Es ist ein abstruses und sehr simples Gemisch aus moralischer Verpflichtung, sein Leben für den Jihad zu opfern und für die Wiedererrichtung des goldenen Kalifats wie zu Mohammeds Zeiten zu kämpfen.

Grausame Renaissance der Köpfungen

Eine besonders brutale Variante hat al-Bagdadi mit Isil erschaffen. Ihm ist Ayman al-Zawahiri, der al-Qaida-Chef, viel zu weich, fast ein Kollaborateur der verhassten USA. Isil verehrt Abu Musab al-Zarqawi, der im Irak eine blutige Spur hinterlassen hat, bis er 2006 getötet wurde. Al-Zarqawi hat Selbstmordattentate und die Platzierung unzähliger Autobomben organisiert und war derjenige, der die Köpfung von Ungläubigen einführte. Die Köpfungen erleben im syrischen Bürgerkrieg eine grausame Renaissance. Allen voran dabei ist Isil, deren Kämpfer sich gern mit abgeschnitten Köpfen im Internet zeigen.

Seit Sonntag bezeichnet sich Isil nur mehr als Islamischer Staat. Damit ist sie nicht mehr auf Syrien und den Irak beschränkt: Nun steht die ganze Welt offen. Die neue Namensgebung und die Ausrufung des Kalifats sollen ein Fanal an alle Muslime sein, sich endlich am Jihad zu beteiligen.

Irak und Syrien
Irak und SyrienDie Presse

Derweil sickerte aus US-Militärkreisen durch, dass die Armee des Irak in den letzten Monaten im Kampf gegen Isil auffallend hohe Verluste an Kampf- und Schützenpanzern erlitten hat, darunter an schweren Abrams-Kampfpanzern aus US-Produktion, die als extrem schussfest gelten. Mindestens 28 der 140 irakischen Abrams seien schon zerstört oder irreparabel beschädigt; das deute auf moderne Waffen der Isil-Krieger, taktische Fehler der Armee oder simpel deren Flucht hin.

www.Details zu Panzerverlusten: diepresse.com/abrams

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2014)

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