Jeder dritte Selbstständige ist Migrant

Die Presse
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Besonders bei kleineren Betrieben ist die Wiener Wirtschaft von Zuwanderern geprägt. Viele sind gut ausgebildet, trotzdem verdient knapp die Hälfte unter 1000 Euro.

Wien. Der Kebabstand, der Greißler, der auch am Sonntag offen hat, das Handygeschäft. Das sind die Klischees, die oft auftauchen, wenn von Migranten als Unternehmern die Rede ist. Die Wiener Arbeiterkammer will nun mit einer Studie den Beweis vorlegen, dass migrantisches Unternehmertum wesentlich vielfältiger ist. Etwa 22.000 Selbstständige in Wien sind laut AK-Erhebung in den neuen Mitgliedstaaten der EU, in der Türkei oder den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien geboren. Das sind rund ein Drittel aller Wiener Unternehmer. Die Zuwanderer aus den „alten“ EU-Mitgliedstaaten sind von der Studie ausgenommen.

Die Branchen, in denen gegründet wird, sind breit gefächert, wobei Handel, Beherbergung und Gastronomie, Verkehr und Bau sowie freiberufliche und technische Dienstleistungen besonders stark vertreten sind. Zu Letzteren zählen etwa Steuerberatung, Architekturbüros, Forschung und Entwicklung oder Werbung und Marktforschung. Die Tätigkeiten in dieser Branche können laut AK sowohl einfach sein, wie etwa die Verteilung von Werbematerial oder die Vertragsvermittlung für Telefondienste und Kabelfernsehen, als auch „höher qualifiziert“. In welchem Verhältnis die einfachen und die höher qualifizierten Tätigkeiten bei Migranten, die in dieser Gruppe unternehmerisch tätig sind, stehen, darüber gibt die Studie keine Auskunft.

Was aus der Erhebung allerdings hervorgeht, ist, dass ein großer Teil der befragten ausländischen Unternehmer eine sehr gute Ausbildung hat. Etwa jeder Dritte hat einen Hochschulabschluss, ein weiteres Drittel hat Matura.

Gut gebildet, mies bezahlt

Diese Qualifikationen spiegeln sich jedoch nicht im Einkommen wider. Fast die Hälfte der Unternehmer verdient weniger als 1000 Euro netto im Monat. Nur zwölf Prozent verdienen mehr als 2000 Euro.

Laut AK-Präsident Rudolf Kaske liegt das niedrige Gehaltsniveau zum Teil daran, dass viele Unternehmen noch relativ jung seien und in der Gründerphase eben noch nicht so viel Geld verdienen würden, um sich ein großes Gehalt auszuzahlen. 35 Prozent der Unternehmen gibt es erst seit 2010, weitere 44 Prozent wurden zwischen 2000 und 2009 gegründet.

Auch die Wertschöpfung der Unternehmen ist mit durchschnittlich 33.000 Euro pro Betrieb und Jahr viermal kleiner als die eines Unternehmens in österreichischer Hand. Das liegt auch daran, dass migrantische Unternehmen sehr klein sind. 67 Prozent beschäftigen keine oder nur zeitweise Mitarbeiter, 23 Prozent bis zu vier, nur ein Prozent über 20 Mitarbeiter. Die Zahl der prekär beschäftigten Mitarbeiter ist außerdem relativ hoch. Nur etwa 40 Prozent der Mitarbeiter sind in Standardarbeitsverhältnissen angestellt. Der Rest sind geringfügig Beschäftigte oder mithelfende Familienmitglieder.

Bleibt die Frage: Warum in aller Welt sorgt sich die Arbeiterkammer um Unternehmer? Weil Unternehmertum mitunter auch Scheinselbstständigkeit heißt, betont AK-Chef Kaske und verweist auf Praktiken in der Baubranche. Die Schuld sieht er nicht bei den Kleinstunternehmern, die „das unterste Glied in der Kette“ seien und mit einer festen Anstellung meistens besser fahren würden. Schuld sei das Sozial- und Lohndumping der Bauunternehmen.

Die Kammernwelt ist also doch noch in Ordnung. (es)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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