Naher Osten: In Panik vor den Islamisten

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Der Vormarsch der Jihadisten im Irak versetzt die Region vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf in Alarmzustand. In vielen Ländern stehen Grenztruppen Gewehr bei Fuß.

Muss das Königreich nun die Gespenster fürchten, die es einst losgelassen hat? Es ist ein offenes Geheimnis, dass saudische Scheichs und Sponsoren aus dem Golfemirat Katar die Rebellen im syrischen Bürgerkrieg tatkräftig finanziert haben, um das ungeliebte Assad-Regime zu stürzen. Jetzt sieht sich indes die Saud-Dynastie in Riad ausgerechnet von jenen Islamisten aus Syrien und dem Irak bedroht, deren Kampf unter dem schwarzen Banner des Jihad und eines Islamischen Kalifats längst eine Eigendynamik gewonnen hat, die die gesamte Region von der Levante bis zum Persischen Golf, von der Türkei bis zum Golf von Aden in ihren Grundfesten erschüttert.

Nach einem Besuch des US-Außenministers John Kerry in der Vorwoche hat auch Präsident Barack Obama den saudischen König Abdullah in einem Telefonat ins Gebet genommen, die ohnehin fragile Sicherheitslage nicht noch weiter aufs Spiel zu setzen. Prompt beorderte Saudiarabiens greiser Wahhabiten-Monarch nach Angaben des Staatssenders al-Arabiya 30.000 Soldaten zur Stabilisierung an die poröse Grenze zum Irak, die 800 Kilometer in der Wüste der arabischen Halbinsel verläuft.

Abdullah tut es seinem Namensvetter gleich, dem jordanischen Haschemitenkönig Abdullah, der wie alle Staats- und Regierungschefs im Nahen Osten vom Blitzkrieg des Islamischen Staats (IS) alarmiert ist. Denn die Führer der extremistischen Milizen haben die Devise ausgegeben, die weitgehend menschenleere jordanische Grenzregion als Rückzugsgebiet und Operationsbasis für ihre Terrorattacken zu nutzen. Jordanien fürchtet die Radikalisierung heimischer Islamisten, die Stabilität des Landes ist ohnedies bereits durch mehr als eine halben Million Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg gefährdet. Jordanische Kämpfer sammeln in Syrien und im Irak Erfahrung. Symptomatisch ist das Video eines Jihadisten, der seinen jordanischen Pass zerreißt.

Angst vor Kurdistan

Die Schockwellen des Blitzkriegs der Jihadisten haben am Rand mittlerweile sogar Israel erfasst. Aufklärungsdrohnen überwachen die Grenze. Israel betrachtet Jordanien als Pufferzone, eine weitere Front – neben den Golanhöhen und der Zange durch die Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen – würde die Terrorgefahr erhöhen.

Auch die Türkei und der Iran haben ihre Grenztruppen längst in Alarmbereitschaft versetzt. Erst ließ die türkische Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan ungehindert Jihadisten aus aller Herren Länder – aus Afghanistan, dem Maghreb, dem Balkan und Westeuropa – über die Grenze nach Syrien einsickern, um Erzfeind Bashar al-Assad aus dem Königspalast in Damaskus zu vertreiben. In der Zwischenzeit richten sich jedoch die Aktivitäten der islamistischen Milizen gegen die Türkei. Bei der Einnahme Mosuls setzte die IS zu Beginn ihrer Großoffensive vor einem Monat 49 Mitarbeiter des türkischen Konsulats fest, zuletzt übergab sie dem Generalkonsul im nordirakischen Erbil indessen 32 gefangen genommene türkische Lkw-Fahrer.

Das Mullah-Regime in Teheran versteht sich als Schutzmacht der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Irak – mithin auch des umstrittenen Premiers Maliki – und als Hüterin der religiösen Stätten. Der Iran liefert Nachschub nach Bagdad, Eliteeinheiten der Revolutionsgarden stehen Gewehr bei Fuß.

Hinzu kommt die Angst vor Kurdistan, einem eigenen Kurdenstaat, wie ihn Kurden-Präsident Barzani im Nordirak installieren will. Das Referendum könnte auch die Kurden in Syrien, der Türkei und im Iran auf den Plan rufen, sich zusammenzuschließen und eine Republik auszurufen – gegen den massiven Widerstand aus Ankara und Teheran.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)

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