Thomas Piketty: Das Rockkonzert des Ökonomen

Thomas Piketty
Thomas Piketty(c) Stanislav Jenis / Die Presse
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Der französische Ökonom Thomas Piketty ist der neue internationale Superstar der Linken. Am Freitag sprach er in Wien – vor fast tausend Menschen. Warum die ganze Aufregung?

Wien. Draußen vor der Tür verkauft ein junger Mann „Vorwärts“, die Zeitung der Sozialistischen Linkspartei. Kostenpunkt: ein Euro. „Solipreis“: zwei Euro. Wechselgeld hat der junge Mann keines dabei. Das Zeitungsgeschäft läuft schleppend. Die Linkspartei hat ohnehin andere Einnahmequellen im Auge: „Holen wir uns das Geld bei den Reichen!“ ist die Botschaft, die in großen roten Lettern auf dem Titelblatt steht. Die Zeitung hat 16 Seiten.

Drinnen im großen Saal des Bildungszentrums der Arbeiterkammer warten rund 500 Menschen. Sie warten auf Thomas Piketty, den französischen Ökonomen. Er hat einen Weltbestseller geschrieben: „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Die Botschaft: Holen wir uns das Geld bei den Reichen! Sein Buch hat 700 Seiten.

700 Seiten, null Drachen

Sein Auftritt ist weniger Buchpräsentation als Rockkonzert – wenn auch ohne Musik. Es gab so viele Anmeldungen, dass im nahen Akademietheater sogar eine Liveübertragung für weitere 450 Zuseher eingerichtet wurde. Was steckt hinter dem gewaltigen Erfolg von Thomas Piketty, den der „Economist“ den „neuen Marx“ nennt? Wie kann sich ein Buch binnen drei Monaten 500.000-mal verkaufen, wenn auf 700 Seiten kein einziger Drache vorkommt – dafür aber endlose Tabellen und Statistiken?

„Ich entschuldige mich dafür, so ein langes Buch geschrieben zu haben“, sagt Piketty – und lacht. „Man kann die Geschichte der Vermögensverteilung nicht auf 100 Seiten zusammenfassen.“ Aber Piketty hat mehr getan, als nur die ungleiche Verteilung von Vermögen in den letzten Jahrhunderten zu analysieren. Es sind andere Dinge, die ihn bei der Linken populär machen: seine Liebe für Steuern – und die von Piketty und seinem Team zusammengetragenen Daten.

Seine Faszination für Steuern hat zwei Gründe: Erstens, erklärt Piketty, gäbe es ohne Steuern gar keine Daten zu Vermögen – denn woher hätten die auch kommen sollen? „Wenn man keine Steuern auf Erbschaften und Vermögen einhebt – dann hat man auch keine Daten.“ Und zweitens glaubt der Ökonom, das Problem der „ungerechten Vermögensverteilung“ ließe sich „idealerweise“ über „progressive globale Vermögensteuern“ lösen.

In diesem Punkt sind sich der Franzose, die Arbeiterkammer, der ÖGB, die SPÖ, die Grünen und sicherlich auch die Sozialistische Linkspartei einig. Es wird, das kann man jetzt schon sehen, ein bedeutendes Thema im sonst traditionell eher politikbefreiten Sommer sein. Und originellerweise hat auch ein wichtiges Gegenargument aus Pikettys Perspektive Sinn. Das Argument nämlich, dass man für eine Vermögensteuer die Daten zu den bestehenden Vermögen ja erst erheben müsse – was mehr koste, als es bringen würde.

Was uns zum zweiten wichtigen Grund für Pikettys Popularität bringt: Er ist der Mann mit diesen kostbaren Daten. „Wir haben die größte Datenbank zu Einkommen und Vermögen aufgebaut, die es je gegeben hat. Deshalb sind die Leute an dem Buch interessiert“, sagt Piketty – und meint mit „Leuten“ nicht die normalen Leser, sondern Politiker und Finanzminister, die ihn derzeit empfangen, wo auch immer er auftaucht.

Piketty fasst diesen wichtigen Punkt in einem scheinbar unbedeutenden, kurzen Satz zusammen: „Die Länder sind reich – die Regierungen arm.“ Was er damit meint: Dass die Staatsverschuldung in den letzten Jahrzehnten relativ zur Wirtschaftsleistung zwar stark gewachsen ist – die privaten Vermögen aber noch stärker. Daher auch die Idee mit den „globalen Vermögensteuern“: Das Geld wäre da – es haben nur die Falschen.

Pikettys große Lücke

Aber hier ist auch die große Lücke in der Vision Pikettys. Geld einzusammeln ist eine Sache – Ideen zu Steuern und globalen Haircuts bei Privatvermögen kommen derzeit von vielen Seiten, zuletzt sogar vom Währungsfonds. Aber wenn das Geld umverteilt wird – von den Reichen zu den Armen – dann bleibt das Problem der gewaltigen Staatsschulden. Heißt: Entweder das Geld der Reichen kommt bei den Armen nie an, weil die Politiker es selbst verbrauchen. Oder der Staat muss erst recht sparen. Und das hört niemand gern – im großen Saal der Arbeiterkammer.

Gastkommentar von Bernhard Felderer: S. 29

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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