Bachmann-Preis: Verrätselung und Trauergesang in Klagenfurt

BACHMANN-PREIS 2014: WETTLESEN / JURY: WINKELS / FESSMANN / KELLER / SPINNEN / ANKOWITSCH / STRIGL / STEINER / DUSINI
BACHMANN-PREIS 2014: WETTLESEN / JURY: WINKELS / FESSMANN / KELLER / SPINNEN / ANKOWITSCH / STRIGL / STEINER / DUSINI(c) APA/GERT EGGENBERGER
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Tag zwei des Wettlesens: Anne-Kathrin Heier brachte einen hochartifiziellen Text, Birgit Pölzl eine Todesmeditation am Rand zur Betroffenheitsprosa. Der Schweizer Michael Fehr beeindruckte auch mit seinem Vortrag.

Wenn der Bachmann-Preis noch einen literarischen Mehrwert generieren soll, dann den, die Vielfalt an heutigen Schreibmöglichkeiten zu spiegeln. Diesem Anspruch wurden die Kandidaten des zweiten Tages gerecht. Die in Berlin lebende Autorin Anne-Kathrin Heier forderte die Jury am Morgen mit einem völlig verrätselten Text: „Das einwattierte Sein im Graben, nach außen hinein lebendig und von innen heraus auch“, heißt es an einer Stelle von „Ichthys“. Auf der Ebene alltagsprachlichen Verstehens kommt man diesem Text nicht bei; genau das ist aber seine Absicht. Er ist hochartifiziell, verhandelt seine eigene Poetologie. Die beabsichtigt, unter vielem anderen, das Schreiben zu unterlaufen, das heute in Schreibschulen gelehrt wird. „Sie sagen, ich solle das Ich nicht verwenden, während ich schreibe.“ Dieser Anweisung widersetzt sich der Text, auch der, eine (schlüssige) Geschichte zu erzählen. Ob dieses Programm, diese Exaltiertheit, darüber hinaus einen ästhetischen Mehrwert produziert, das wurde von der Jury heftig diskutiert.

Die zweite Lesung bestritt die Grazer Autorin Birgit Pölzl – und lotete die Bandbreite dessen aus, was in, was mit Literatur möglich ist. Sie las einen Text, der Trauerarbeit leisten will, eine Art Trauergesang über den Verlust eines Kindes. Eine Mutter reist nach Tibet und versucht dort über den Schicksalsschlag hinwegzukommen. Schon das Wort Tibet weckt die Assoziation nach Spiritualität und Esoterik. Und darauf läuft der Text auch hinaus. Die Jury anerkannte das Bemühen der Autorin, eine Todesmeditation literarisch umzusetzen, empfand die viele Empathie darin aber doch beeinträchtigend. So führte die zweite Lesung von der Kälte der Avantgarde zur Hitze der Betroffenheitsprosa.

Irgendwo dazwischen siedelte sich der dritte Text des Tages an. Einerseits lieferte er jede Menge Emotion mit den furchtbaren Geschichten von den beiden Asylanten, die sich jeweils ihre Geschichte bis hin zu den Familiengeschichten erzählen, auf der anderen Seite will er formal hypermodern sein, indem er eine Korrespondenz auf Facebook vorgaukelt, von zwei Menschen also, die einander noch nie gesehen haben und trotzdem die intimsten Dinge austauschen.

Bei Hegel gelernt?

Der Autor, der 30-jährige Senthuran Varatharajah, ist tamilischer Abstammung, hat in Marburg Philosophie studiert, lebt zurzeit in Berlin. Für den Juryvorsitzenden Burkhard Spinnen klang das Deutsch des Protagonisten auch so, als hätte er es bei Hegel gelernt. Aber von den unterschiedlichen Sprachebenen bezieht der Text seine Spannung. Die Facebookerin am anderen Ende der Leitung ist nämlich Albanerin und schreibt in einem Alltagsdeutsch. Der Text hat, wie der von Birigit Pölzl, keine Angst vor Metaphysik, aber vielleicht ein Zuviel an schlimmer Historie, die einen merkwürdig kalt lässt.

Der Nachmittag gehörte gehört. Denn die beiden Schweizer, die dann lasen, legten ihre Texte als Hörbücher an. Beim 1982 in Gümlingen geborenen Michael Fehr funktionierte das sehr gut, bei der 1967 in Scuol geborenen Romana Ganzoni so gut wie gar nicht. Fehr trug seine urschweizerische Geschichte im Gehen vor, er hörte seinen eigenen Text mit Kopfhörer und sprach ihn laut nach. Da es ein lautmalerischer Text war, hatte das nicht nur seine Berechtigung, sondern auch den gewünschten Effekt. Die Geschichte selbst war fast älplerisch archaisch, aber sie lebte eben durch Fehrs „Poetik über Phonetik“. Im Anschluss gab es naturgemäß eine lange Diskussion darüber, ob solches beim Bachmann-Preis legitim sei. Nicht geeignet – und zwar für den eigenen Text – fand Juror Hubert Winkels den Vortrag Romana Ganzonis: „Bedeutungsgeschwurbel“ war sein Diktum. Ihrer abgründigen Mutter-Tochter-Geschichte hat Ganzoni damit keinen Dienst erwiesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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