Engpass bei Altenpflege droht

Haende Pfleger und Seniorin
Haende Pfleger und Seniorin(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com
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Ab 2020 steigt die Zahl der Menschen über 80 rasant – und daher auch der Bedarf an Pflege. Damit das Pflegesystem dann nicht kollabiert, müssen jetzt schon die Weichen gestellt werden.

Wien. Fachkräfte in der Altenpflege sind jetzt schon knapp. Von rund 7000 Plätzen für Pflege- und Betreuungsberufe, die nicht besetzt werden können, war 2012 die Rede. Zwar hat sich die Situation mittlerweile leicht entspannt, doch die nächsten Probleme sind schon absehbar. Zum einen steht um das Jahr 2017 eine Welle von Pensionierungen im Pflegesektor bevor. Und zum anderen schlägt auch die Demografie zu. Denn um das Jahr 2020 werden jene geburtenstarken Jahrgänge, die um 1940 geboren wurden, 80 Jahre alt. Und damit wird auch der Bedarf an Pflege für diese Menschen deutlich größer. „Ab diesem Zeitpunkt steigt die Zahl der Betagten und Hochbetagten stark an“, sagt Alexander Hanika, Demograf bei der Statistik Austria.

Die Presse

Wie hoch der Bedarf an zusätzlichem Pflegepersonal und Einrichtungen sein wird, lässt sich aus dem Alter zwar nicht direkt ableiten – schließlich geht die Steigerung der Lebenserwartung auch mit besserer Gesundheit einher. Doch bei rund einer halben Million Menschen über 80 im Jahr 2020, deren Zahl bis 2030 auf fast 640.000 ansteigen wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch mehr Menschen pflegebedürftig sind. Was zum einen mit sich bringt, dass die öffentlichen Ausgaben für Pflege angehoben werden müssen. Und zum anderen, dass auch der Bedarf an Pflegepersonal, der schon bisher nur mit Schwierigkeiten gedeckt werden kann, noch größer wird. „Klar ist“, sagt Demograf Hanika, „dass jetzt die Weichen gestellt werden müssen.“

Was die Kosten angeht, schoss die öffentliche Hand zuletzt schon mehr zu. So wurden zuletzt von der Regierung für die Jahre 2017 und 2018 jeweils zusätzliche 350 Millionen Euro paktiert. Schon von 2011 bis 2014 hat man provisorisch fast 700 Millionen zusätzlich bereitgestellt. 2014 budgetiert die öffentliche Hand rund 4,33 Milliarden Euro für die Pflege, bis 2020 werden die Ausgaben laut Prognose rund fünf Milliarden Euro betragen. Allein, was die langfristige Finanzierung in Hinblick auf die demografische Entwicklung angeht, hat sich die Politik noch nicht verständigt. Hier läuft nach wie vor die Debatte zwischen SPÖ und ÖVP, wie man an das Geld für den gestiegenen Pflegebedarf kommen kann – debattiert wird unter anderem über eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer, eine Zweckbindung der Vermögenszuwachssteuer, höhere Sozialversicherungsbeiträge oder eine verpflichtende Pflegeversicherung. Zumindest eine Variante ist derzeit vom Tisch – nachdem zuletzt die Steiermark den Regress abgeschafft hat, ist der Rückgriff auf Vermögen der Angehörigen für die nächste Zeit wohl keine Variante der Pflegefinanzierung.

Angehörige verhindern Kollaps

Neben der Finanzierung ist aber auch die Suche nach qualifiziertem Pflegepersonal ein Punkt, der verstärkt angegangen werden muss. Derzeit arbeiten rund 75.000 Menschen im Betreuungs- und Pflegesektor, doch der Pflegeberuf hat ein schlechtes Image – einer Umfrage des Pflegedienstleisters Senecura zufolge kommt für 66 Prozent der Österreicher ein solcher Beruf „sicher nicht infrage“. Dass es bis jetzt noch zu keinem Kollaps des Pflegesystems gekommen ist, liegt vor allem auch an den Angehörigen – rund 80 Prozent der Pflegegeldbezieher werden nach Angaben des Sozialministeriums daheim von Partnern und Familie betreut. Und nicht zuletzt wird auch Hilfe aus dem Ausland in Anspruch genommen – unter anderem von den rund 16.000 Pflegerinnen aus der Slowakei.

Um den steigenden Bedarf an Pflegepersonal decken zu können muss also in den kommenden Jahren einiges getan werden. Kurt Schalek, Pflegeexperte bei der Caritas, regt etwa eine Reform der Pflegeausbildung an. So sollten Betreuungsberufe stärker ins Regelschulwesen integriert werden und zwischen einzelnen Bereichen, zum Beispiel der Kranken- und der Altenpflege, eine stärkere Durchlässigkeit geschaffen werden (siehe auch Seite 2). Teilweise werde man aber wohl noch stärker auf Pflegekräfte aus dem Ausland setzen müssen. „Aber es wird sicher nicht möglich sein, den Bedarf durch ausländische Pflegekräfte zu decken“, sagt Schalek. Nicht zuletzt, weil Österreich ja nicht das einzige Land ist, in dem die Nachfrage steigt. „Es gibt einen globalen Wettbewerb um Pflegekräfte. Im Grunde wartet niemand darauf, nach Österreich zu kommen.“

Von einem drohenden Kollaps will Schalek aber nicht sprechen – das sei nur ein Worst-Case-Szenario. Noch gebe es genügend Zeit, etwas zu tun. „Die Frage ist: Ergreift man diese Möglichkeiten?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2014)

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