Vielfalt auf der Alm ist auch Menschenwerk

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Viele Funktionen von Kulturlandschaften werden als selbstverständlich wahrgenommen. Sollen Landschaften wie die Südtiroler Lärchenwieseerhalten bleiben, muss ihnen ein Wert beigemessen werden.

Nicht allen, die die Almen, Wiesen und Wälder der Alpen lieben, ist klar, wie sehr diese eigentlich Menschenwerk sind: Kulturlandschaften, geformt in generationenlanger harter Arbeit. Für Bäuerinnen und Bauern war ihr Erhalt früher wirtschaftlich sinnvoll. Heute, heißt es oft, lohne sich die Mühe nicht mehr, sie zu erhalten. Und so wird vielerorts die Pflege der Almwiesen aufgegeben oder so sehr verändert, dass die traditionellen Landschaften verschwinden.

Veronika Fontana möchte am Beispiel der Lärchenwiesen in Südtirol nicht nur die bäuerliche Leistung sichtbar machen. Die Biologin überprüfte auch, ob es für Bäuerinnen und Bauern ökonomisch interessant sein könnte, die traditionelle Landschaftsform Lärchenwiese beizubehalten, statt die Wiesen einfach aufzugeben oder die Almwiese durch andere Nutzungsformen zu ersetzen.

Für ihre Forschungsarbeit – sie entstand im Rahmen des vom Deutschen Stifterverband finanzierten dreiteiligen Projekts EcoRAlps (siehe Halbspalte) – verwendet sie das relativ neue Konzept der Ökosystem(dienst)leistung.

„Damit sind Produkte und Leistungen gemeint, die die Natur den Menschen bietet“, erklärt die Südtirolerin den noch jungen Begriff. Einerseits sind das recht einfach zu erfassende Versorgungsleistungen wie Nahrung, Holz oder sauberes Trinkwasser. Hinzu kommen aber auch noch komplexere, schwerer zu beziffernde Dienstleistungen, zum Beispiel saubere Luft, Schutz vor Naturgefahren, Bestäubung durch Insekten, Bodenbildung oder Schönheit der Landschaft.


Mit Naturschutz argumentieren. Das Konzept wurde Anfang des Jahrtausends entwickelt, mit durchaus hehren Zielen: Natur und Naturschutz sollten endlich als ökonomisch sinnvoll dargestellt werden können. Das sollte jenen, die rein marktwirtschaftlich argumentieren und deshalb so manches Naturschutzprojekt als fragwürdig abtun, den Wind aus den Segeln nehmen. Um ein Beispiel zu nennen: Kann der Ernterückgang im Obstbau durch das Bienensterben in Milliarden Euro beziffert werden, sind die Bienen mit einem Schlag nicht mehr nur um ihrer selbst willen schützenswerte Insekten – sondern aus Gründen, die Milliarden Euro wert sind.

An dem Konzept der Ökosystem(dienst)Leistung gibt es durchaus Kritik: Es sei eine rein westliche und ausschließlich auf den Menschen bezogene Sichtweise, die der vorherrschenden Ökonomisierungslogik folge, argumentieren manche – also im Grund genau jenen Kräften, die für die Zerstörung der Natur verantwortlich seien. Doch das tut ihrer Popularität keinen Abbruch – sie dominiert zunehmend die internationalen Diskussionen und die Forschung.


Zwei Ökosysteme. Biologin Veronika Fontana machte sich nun in Südtirol auf die Suche nach Ökosystemleistungen. „Lärchenwiesen sind eigentlich eine Vereinigung von zwei Ökosystemen“, sagt die gebürtige Bozenerin: Es sind Elemente von Wald – eben die Lärchenbäume –, die sich auf einer Wiese oder Weide befinden.

Das System, das von den dort lebenden Menschen vor hunderten Jahren entwickelt wurde, erlaubt die Doppelnutzung der Fläche: Einerseits dienen die Wiesen als Weide für das Vieh und liefern Heu für den Winter. Andererseits kann bei Bedarf das wertvolle, sehr beständige Lärchenholz geerntet werden. „Dieses Holz eignet sich zum Beispiel gut für Stadeln und für Zäune“, sagt Fontana.

Die Lärche ist in Südtirol nach der Fichte die zweithäufigste Baumart. Die Bäume lieben es hell, sie sind Pioniere auf offenen Flächen. Die Lärchen lassen sich zwar von anderen Arten rasch verdrängen, sie können aber auch zu imposanten Riesen von bis zu 50 Metern Höhe heranwachsen und unter günstigen Bedingungen sehr alt werden.

So gehören die Ultner Urlärchen im Meraner-Land in Südtirol mit einem Alter von 850 Jahren zu den ältesten Nadelbäumen Europas.


Mehr als Holz und Heu. „Meine These ist, dass Lärchenwiesen nicht nur Holz und Heu bieten, sondern auch andere wertvolle Leistungen“, sagt Fontana. „Sie sind landschaftlich besonders reizvoll. Und sie sind ein guter Lebensraum für viele Tiere, Insekten, für essbare Pflanzen, Heilpflanzen und gefährdete Arten.“

Diese finden auf den Lärchenweiden besonders gute Lebensbedingungen vor: Da die Bäume im Winter ihre Nadeln abwerfen, können unter dieser Decke im Frühling schon früh Gräser, Blumen und Kräuter sprießen. Das Ergebnis von Fontanas Forschung zeigt nun auch: „Wenn all diese Aspekte berücksichtigt werden, ist ein Erhalt der Lärchenwiese dem Auflassen oder einer intensiveren Landnutzung vorzuziehen.“


Arten gehen verloren. Einen Sommer lang hat sie im Jahr 2011 an über 160 Standorten Pflanzen gezählt, Bodenproben genommen, Bäume und Biomasse vermessen. Im Schnitt fand Fontana auf den traditionell genutzten Wiesen über 50 Pflanzenarten – fast das Doppelte wie auf stark güllegedüngten, ehemals traditionellen Lärchenwiesen, sogenannten Fettwiesen. Darunter waren auch einige Arten, die auf der Roten Liste gefährdeter Arten stehen wie etwa die weiße Trichterlilie sowie mehrere Heilpflanzen wie Augentrost oder Arnika.

Je weniger die Wiesen gedüngt wurden, desto höher war die Biodiversität. Der Grund? „Auf Lärchenwiesen finden Wald- und Wiesenpflanzen ihre Nischen und verdrängen sich nicht gegenseitig“, erklärt Fontana. Eine Vielfalt, die verloren geht, sobald die Wiesen nicht mehr bewirtschaftet werden, was vor allem in steilerem, schwerer zugänglichem Gelände immer öfter der Fall ist.

Sobald die Flächen nicht mehr regelmäßig gepflegt werden, gehen jene Arten zugrunde, die zuvor nur durchkommen, weil die Wiesen regelmäßig gemäht werden. Kurz darauf bildet sich unter den Bäumen und auch auf den Wiesen dichtes Buschwerk, aus dem später Wald entsteht.

Dass die Lärchenwiesen schlicht nicht mehr bewirtschaftet werden, ist aber nur eine Möglichkeit. Es gibt auch die Entwicklung in Richtung einer Intensivierung der Flächennutzung. Vor allem dort, wo die Wiesen flacher sind und durch immer mehr und bessere Wege erschlossen werden.

„Mehr Düngung erlaubt, eine Wiese öfter zu mähen“, sagt Biologin Fontana. „Die empfindlichen Arten vertragen die Gülle aber nicht und gehen daran zugrunde.“ Die Forscherin fand auf den extensiv bewirtschafteten traditionellen Wiesen – das sind jene Wiesen, die nur ein- bis maximal zweimal pro Sommer gemäht und höchstens einmal mit Stallmist gedüngt werden – zudem deutlich mehr Moose und Flechten. Auf den intensiv gedüngten Flächen hingegen zeigten sich auch viele Indikatoren für Luftverschmutzung und Überdüngung.


Viel Arbeit steckt dahinter. Derzeit wird der Erhalt der Lärchenwiesen in Südtirol durch Prämien gefördert. „Ich hoffe, dass meine Arbeit dazu beiträgt, den Wert der Lärchenwiesen in der Bevölkerung zu verankern, damit das auch in Zukunft so bleibt“, wünscht sich Veronika Fontana. „Die Leistungen, wie einen schönen Blumenstrauß oder die herrliche Landschaft, nutzen alle gern. Aber sie werden oft auch als naturgegeben angenommen. Nur wenige sehen, wie viel Arbeit dahinter steckt.“ Arbeit, die bezahlt gehört.

„Die Bauern und Bäuerinnen müssen für die Landschaftspflege etwas bekommen“, fordert Fontana. „Denn diese wunderschönen Wiesen sind ein wichtiger Bestandteil der Südtiroler Vielfalt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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