Sprayer in Wien: Viel Farbe für einen kleinen Kick

Die Presse
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Sie beschmieren Züge, bekritzeln Hausmauern und verschönern die Stadt mit imposanten Kunstwerken. Die Sprayer-Szene in Wien ist vielfältiger als ihr Ruf. Eines haben sie aber alle gemeinsam: den Wunsch nach Anerkennung.

Das erste Mal wäre er fast erwischt worden. Damals, nachts auf dem Westbahnhof. Als er seinen ersten ICE besprühen wollte. Das Werk war noch nicht fertig, da hörte er Schritte. Er sah unter den Zug und erblickte zwei Securitys und ihren Hund. Das Adrenalin schoss ihm durch den Körper. „Aber sie haben nichts bemerkt“, erzählt der junge Mann, der im schwarzen T-Shirt an der Wand lehnt und an seiner Zigarette zieht. Da habe er fertig gesprayt und sei dann schnell davongelaufen: „Damals hätte ich mich fast angepinkelt.“ Heute ist er kaum noch nervös, wenn er in der Nacht ausrückt, um seine Spuren auf Wänden, Zügen und U-Bahnen zu hinterlassen.

Seit mehr als zehn Jahren ist Philipp Hausner (Name von der Redaktion geändert) Teil der Wiener Graffiti-Szene. Angefangen hat er mit 13 oder 14 Jahren. Mit Markern malten er und seine Freunde Tags (Namenszüge) auf Stromkästen und Türen. Der Coolste war der, dessen Schriftzug am häufigsten zu sehen war.

Mittlerweile verwendet er Spraydosen und sprüht auch schon einmal ganze Züge voll. „Whole Car“ heißt das dann. Es ist eine der größten Aktionen, die ein Sprayer illegal machen kann.

In den vergangenen Wochen ist die Wiener Sprayer-Szene wieder vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Grund dafür war die Festnahme des Schweizer Sprayers Puber, der ein Jahr lang die Stadt fast manisch mit seinem Tag markiert haben soll. Aber auch der Fall von David A. ist vielen bekannt. Der Sprayer wurde bei einem missglückten Graffiti-Versuch so schwer verletzt, dass er danach ins künstliche Koma versetzt werden musste. Das hat die Szene tief getroffen.

Die Sprühdose als Systemkritik. Wobei von der Graffiti-Szene kaum gesprochen werden kann. Sie ist so unterschiedlich wie ihre Akteure – und reicht vom Schüler bis zum etablierten Künstler, der damit Geld verdient. Gemeinsam haben sie aber eines: den Wunsch nach Anerkennung.

Hausner hat als Junge mit dem Graffiti angefangen, weil er ein „cooler Gangster“ sein wolle. Auch heute sagt er noch: „Es ist etwas Magisches. Du bist eine absolute Elitetruppe, die etwas Illegales macht, was der Rest der Welt so nie mitbekommen würde.“

Wände und Objekte zu besprühen sieht er als eine Art Systemkritik. Deswegen geht er nur gegen Unternehmen vor, nicht gegen Privatpersonen. Ein schlechtes Gewissen, wenn er die Züge oder U-Bahnen anmalt, hat er nicht. „Ich bin mir sicher, dass sie das durch Versicherungen deichseln.“ Auf denkmalgeschützte Gebäude sprayt er nicht.

So wie er argumentieren viele. Graffiti sei ein Aufbegehren gegen die Regeln, ein In-Besitz-Nehmen des öffentlichen Raums. „Ein Ausdruck, dass in der Stadt Leben herrscht“, wird Daniel A., ebenfalls Sprayer in Wien und Herausgeber der Graffiti-Zeitung „Egal“, später dazu sagen. Für Hausner ist es jedenfalls ein Abenteuer. „Niemals ist ein Normalbürger in einem U-Bahn-Yard und riecht die Schienen im Beton. Oder erlebt das Laufen und die Action, wenn in der U-Bahn der Alarm losgeht.“ Einmal in der Woche greift er derzeit zur Dose. Legal am Donaukanal, illegal auf Zügen und U-Bahnen. Dann fahren er und seine Sprayer-Freunde mit dem Auto in Orte rund um Wien und besichtigen Bahnhöfe. Ist der Putztrupp fertig? Sieht irgendetwas verdächtig aus? Davor hat Hausner zwei Stunden an seiner Zeichnung gefeilt, die er nun auf den Zug sprayen will. Er hat sich das Motiv eingeprägt und die Zeichnung verbrannt. Zu gefährlich, sie mitzunehmen. Er zieht die Linien vor, füllt Flächen aus, trägt Farbe im Hintergrund auf. Wenn er irgendwo eine Kamera sieht, zieht er sich eine Sturmhaube über.

Pannen gibt es immer. So läuft ein Sprayer-Abend ab, wenn es keine Pannen gibt. Aber die gibt es immer: Einmal haben er und seine Kollegen mit Sturmhauben im Gebüsch auf ihren Einsatz gewartet. „Plötzlich ist die Putzfrau gekommen und wollte neben uns ins Gebüsch pinkeln.“ Als sie sich auf die Seite drehte, sah sie die maskierten Männer und lief schreiend davon. Hausner und seine Kumpels auch, allerdings stumm. „Wir sind sofort raus aus dem Kaff. Weil wenn die da mal zumachen, kommst du nie wieder raus.“

Glückt der Versuch, beginnt am nächsten Tag die Dokumentationsarbeit, die mittlerweile genauso wichtig ist wie das Sprayen selbst. Der besprühte Zug wird bei Tageslicht fotografiert. Das müsse schnell gehen, denn ÖBB und Wiener Linien würden den Wagen bald in die Putzerei schicken. „Zum Glück gibt es seit zwei Jahren das Zugradar“, sagt Hausner. Damit könne er die Züge orten. Was Zugtypen, Bahnhöfe und Abfahrzeiten betrifft, ist er ein wahrer Experte.

Wie viele Sprayer es gibt, ist schwer zu sagen. Insider schätzen, dass die Graffiti-Szene bis zu 300 Sprayer umfasst, wobei die meisten sowohl legal als auch illegal sprayen. Manche Sprayer gehören Crews an. Da gibt es die Ulfs, „We are“ oder den R-Club (für Renterclub), der für seine aufwendigen Videos bekannt ist. Denn das Dokumentieren beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Fotos.

Die Sprayer dürften zwischen 22 und 30 Jahre alt sein, schätzt Sebastian Nowak. „Das sind Leute aus jeder Gesellschaftsschicht.“ Nowak betreibt den neuen Spraydosen-Shop „SprayChilled“ in der Großen Schiffgasse 5 im zweiten Bezirk und ist in der Szene bestens vernetzt. Die Wände seines Ladens zieren die Werke von Wiener Sprayern. So mancher von ihnen ist Kunststudent oder Familienvater. Viele der Sprayer haben feste Jobs, verdienen gut, sind untertags etwa in Kreativberufen tätig und leben nach Feierabend ihre große Leidenschaft aus.

Mit 16 „Wiener Wänden“ und damit 4100 m2 Fläche, auf der legal gesprayt werden kann, ist Wien ohnehin ein Sprayer-Paradies. Für viele ist es die einzige Möglichkeit, legal ihrer Leidenschaft nachzugehen. „Ich hatte durch das Adrenalin keine innere Ruhe mehr, um einen geraden Strich zu ziehen“, sagt etwa Daniel A.

Denn die Polizei ist den Sprayern dicht auf den Fersen. Was nicht auf legalen Flächen oder auf Auftragsbasis passiert, gilt vor dem Gesetz als Sachbeschädigung. 2373 Fälle von Sachbeschädigung durch Graffiti wurden 2013 in Wien angezeigt, 18 Prozent mehr als im Jahr davor. Die ÖBB beziffern den Schaden, der ihnen jährlich durch Graffiti entsteht, mit 1,2 Millionen Euro.

Unzählige Sprayer sind in Wien schon wegen Sachbeschädigung verurteilt worden. Auch Hausner. Ans Aufhören denkt er deswegen trotzdem nicht. Auch wenn er derzeit lieber legal sprüht: „ Wenn ich zu viel im Kopf hab, dann fühl ich mich nicht stark genug, um viel illegales Graffiti zu machen, weil es eine Belastung ist.“

Nur, wenn man es besser kann. Ansonsten agiert die Szene sehr entspannt. Konkurrenzkampf gibt es kaum. Nur wenn sich einzelne Sprayer um eine Mauer streiten oder ein gutes Bild übermalt wurde, droht Ärger. Wer etwas auf sich hält, sprayt ein Werk auf der „Hall of Fame“, einem Stück legaler Wand am Donaukanal. Die Regel: „Man übersprüht etwas nur, wenn man es besser kann“, erklärt Nowak.

Das ist freilich nicht so reizvoll wie leere Flächen, die darauf warten, mit Farbe gefüllt zu werden. „Wenn ich offiziell um Erlaubnis frage, eine Fläche zu besprühen, dann wird das nie etwas“, sagt etwa Tabby. „Mein Ziel ist es nicht, das Gesetz zu brechen, aber die Stadt wird vieles nicht erlauben.“ Tabby ist ein junger Mann, der mit schwarzem Kapuzenpulli und Sonnenbrille am Abend auftritt. Mit seinen Werken – die eher zur Streetart zählen – will er die Menschen überraschen, ihren Alltag interessanter machen.

Ob seine Arbeiten tatsächlich gefallen, kontrolliert er, indem er Helfer schickt, die Passanten fragen. Seine Fotos wurden tausende Male im Internet geteilt. Er arbeitet mit Schablonen (Stencils) und erinnert damit an den bekannten Streetartist Banksy.

Seinen Bildern gehen Stunden an Vorbereitung voraus. Motive müssen gewählt, Plätze ausgesucht werden. „Ich würde nie Häuser mit historischer Fassade besprühen“, sagt er. Er wählt kahle Mauern und Ecken, bei denen er sich denkt: „Das könnte die Leute überraschen, wenn sie das sehen.“

Trotzdem arbeitet er meist in der Nacht. Seine Bilder erzählen immer kleine Geschichten: Der Mensch, der sich vom Affen zum Konsumaffen entwickelt, Julie Andrews aus „The Sound of Music“, die auf dem Berg nicht singt, sondern schießt, oder eine Katze, die vor einer Maus im Panzer flieht.

Ihm gefällt die Idee, irgendwann von seiner Kunst auch leben zu können. Schon jetzt verkauft er manchmal Bilder. Seine Arbeiten sind auf seiner Webseite genau dokumentiert.

Die Sprayer, die wie Puber nur Namen und Gekritzel in der Stadt hinterlassen, kann er nicht verstehen: „Ich glaube, das gefällt vielen selbst nicht“, sagt er, auch wenn er sie nicht verurteilten will. Aber das zeige eben nur eine Seite der Graffiti-Szene. Dabei gibt es in Wien seit einigen Jahren eine ganze Reihe an Veranstaltungen und Organisationen, die versuchen, die Graffiti-Szene differenzierter darzustellen.


Streetart zu verkaufen. Allen voran Nicholas Platzer mit seiner Streetart-Galerie Inoperable, der heimische Sprayer-Größen an Firmen und ins Ausland vermittelt und internationale Stars wie Roa nach Wien holt. Auch das neu gegründete „Drippin' Color Collective“ versteht sich als Drehscheibe, um Graffiti und Streetart zu verkaufen.

Wiens bekanntester Streetartist Nychos nimmt mittlerweile an Ausstellungen zwischen San Francisco und Singapur teil. Auch er hat auf der Straße begonnen. Dass er mit dem Sprayen jetzt Geld verdient, hat auch viele Neider auf den Plan gerufen. „Am Anfang hat es mich noch geärgert, aber irgendwann ist mir bewusst geworden, wie kindisch das Ganze ist.“

Auch Hausner hat früher zu den Nychos-Kritikern gehört: „Heute denk ich mir: höchsten Respekt.“ Vor Jahren wäre er vielleicht selbst in die Streetart-Richtung gegangen. Aber dann „bin ich immer mehr ins Illegale abgerutscht“. Den Traum, vom Sprayen leben zu können, den hat er aber immer noch.

Sprayen

Tabby. Der Sprayer erzählt mit seinen Bildern kleine Geschichten. tabbythis.com

SprayChilled.Sebastian Nowaks Sprayer-Laden im zweiten Bezirk hat erst kürzlich eröffnet. spraychilled.com

Drippin' Color Collective. Das Kollektiv ist eine Plattform für Graffiti und Streetart. www.facebook.com/drippin.color

Egal. Die Graffiti-Zeitung „Egal“
ist in Sprayshops wie Somogyi und SprayChilled erhältlich.

Unsere Redakteurin Katrin Nussmayr hat das Thema Graffiti für ihre Bakk.-Arbeit digital aufgearbeitet. Das Ergebnis ist unter http://blog.nussmayr.at/graffiti/ zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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