Wider die Wegwerfkultur: Essen mit gutem Gewissen

Die Erfinder des „Iss mich!“-Konzepts
Die Erfinder des „Iss mich!“-Konzepts (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sabine Schellander, Paul Streli und Tobias Judmaier verarbeiten aussortierte Lebensmittel, die nicht im Handel verkauft werden können.

Selten noch hat man sich mit einem derart beruhigten Gewissen zum Mittagstisch setzen können. Zugestellt wurde das Gemüsecurry von einem Fahrradboten (kein CO2) und im wiederbefüllbaren Weckglas. Für die Zubereitung verwendet wurde Biogemüse, das qualitativ hochwertig ist, es aber – meist aus ästhetischen Gründen – nicht in den Handel geschafft hat und sonst vermutlich weggeworfen worden wäre. Geschält und geschnitten wurde das Gemüse von Frauen, die in die Frauenhäuser der Caritas geflüchtet sind und so nebenbei Geld verdienen können.

Das sind – sogar in der Fairtrade- und bioaffinen Wiener Lokalszene – ziemlich viele, ziemlich hohe Ansprüche, denen sich die Erfinder des „Iss mich!“-Konzepts verschrieben haben: Seit Anfang Mai verkochen sie im Lokal Schwarzes Schaf im neunten Bezirk teils Gemüse und Obst, das nicht den Normen entspricht und daher im Handel nicht verkauft wird. „Das kann eine Kartoffel sein, die von der Erntemaschinen einen Kratzer hat oder eine Karotte, die Verzweigungen hat“, sagt Sabine Schellander, die für das Netzwerken, die PR-Arbeit und vieles mehr bei „Iss mich!“ verantwortlich ist, „nur nicht fürs Kochen“. Letzteres übernehmen Tobias Judmaier und Paul Streli, beides Autodidakten in der Küche, die aus den aussortierten Biolebensmitteln – die derzeit vor allem aus dem Marchfeld stammen – jede Woche sechs verschiedene Gerichte (Suppen, Eintöpfe, Currys) herstellen. Die meisten Speisen sind vegetarisch oder vegan – eine enthält meist Fleisch, das von einem Biofleischhauer in Ebreichsdorf stammt.

Weckglas per Bote

Im Weckglas verpackt sind die Speisen (Suppen gibt es ab 4,50 €, Hauptspeisen ab acht Euro) dann zehn bis 14 Tage haltbar. Montags und mittwochs liefert ein Fahrradbote die Gläser in diverse Büros aus – bestellen muss man allerdings schon am Freitag der Vorwoche. „Da machen wir es den Kunden vielleicht nicht leicht“, sagt Schellander. Vorläufig funktioniere es aber noch nicht spontaner. Man möchte auch nur so viel verkochen, wie tatsächlich bestellt wird – um eine Überproduktion zu vermeiden, die dann eventuell erst recht wieder weggeworfen werden müsste. Eine kleine Menge bleibt zum Verkauf im Schwarzen Schaf. Geplant ist, dass es die „Iss mich!“-Gerichte demnächst bei einigen Greißlern geben soll. „Iss mich!“ kann aber auch als Caterer für Veranstaltungen gebucht werden.

Schon seit Längerem beschäftigen sich die drei mit Verpackungswahnsinn und Verschwendung von Lebensmitteln – weltweit werden 1,3 Mrd. Tonnen Essen im Jahr weggeworfen. Judmaier widmet sich der Chose seit Jahren mit seinem Kunstprojekt „Waste Cooking“: Dabei durchsucht er Mülltonnen (etwa von Supermärkten) nach Essbarem, das er dann im öffentlichen Raum – und begleitet von einer Kamera – verkocht. „Wir wollten aber auch weg vom Aktionismus und dieses Problem nicht nur künstlerisch sichtbar machen“, sagt er.

Biolebensmittel als Fischfutter

Die Verschwendung von Lebensmitteln sei ein sehr komplexes Problem, „an dem nicht nur der Handel, die Konsumenten oder die EU-Normen allein schuld sind“. Dass man das System – wenn auch mit viel Aufwand – umgehen kann, zeigen die drei nun mit ihrem Geschäftsmodell, vom dem auch Bauern profitieren, die oft einen großen Teil ihrer Ernte nicht weiterverkaufen können. „Es ist doch absurd“, sagt Schellander, „dass man sich auf Biolebensmittel spezialisiert, die dann zum Teil als Fischfutter enden oder weggeworfen werden.“

AUF EINEN BLICK

„Iss mich!“ nennt sich das Catering- und Lieferservice, bei dem vorrangig aussortierte Lebensmittel (die etwa aus ästhetischen Gründen nicht in den Handel kommen) verarbeitet werden. Die großteils vegetarischen Speisen werden in Weckgläsern eingemacht und per Fahrradboten zugestellt. Das wöchentlich wechselnde Menü kann auch im Lokal Schwarzes Schaf (9., Porzellang. 53) gekauft werden. „Iss mich!“ wird mit einem Stand auch auf der „Fair fair“ (11. bis 13. 7.) im Museumsquartier vertreten sein. Details: www.issmich.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2014)

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