Die EU-Innenminister diskutierten den Vorschlag Mikl-Leitners zu europaweiten Resettlement-Programmen.
Wien/Mailand. Die Zeichen für die italienische Ratspräsidentschaft im kommenden Halbjahr stehen auf Sturm. Eine gesamtheitliche Lösung für die europäische Flüchtlingspolitik, die die Regierung in Rom zu einer der wichtigsten Aufgaben während des sechsmonatigen EU-Vorsitzes erkoren hat, ist auch nach dem gestrigen Innenministerrat in Mailand nicht in Sicht.
In einem einzigen Punkt sind sich die EU-Staaten bis dato einig: Das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben. Italien fordert deshalb Unterstützung für den teuren Marine-Einsatz „Mare Nostrum“, der nach Angaben der Regierung täglich 300.000 Euro verschlingt. Die Nordeuropäer halten dem entgegen, dass bereits Millionen ins Land geflossen sind – und fragen sich hinter vorgehaltener Hand, wo diese Gelder versandet sind. Eine Übernahme von „Mare Nostrum“ durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex lehnen sie daher ab. „Die Vorstellung, dass Frontex die Aufgaben der italienischen Marine übernimmt, halte ich für unrealistisch“, sagte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière gestern vor Beginn des Treffens.
Überhaupt stellt sich die Frage der Solidarität für Wien und Berlin mit umgekehrten Vorzeichen: So sei Italien angehalten, die ins Land migrierten Flüchtlinge besser zu kontrollieren, damit diese nicht direkt nach Österreich, Deutschland oder Schweden weiterreisen könnten – ein Bruch des Dublin-II-Abkommens, wonach Flüchtlinge in jenem Mitgliedstaat Asyl beantragen müssen, in dem sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten.
Entlastung für Österreich
Wie Zahlen auf Basis der EU-Statistik-Agentur Eurostat zeigen, würden bei einem automatisierten Verteilungsschlüssel Länder wie Österreich sogar stark entlastet werden: Allein im Jahr 2013 hätte die Republik dann 10.275 Asylwerber weniger zu versorgen gehabt, in Italien wären es dagegen 23.039 mehr gewesen (siehe Grafik). Kein Wunder also, dass Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner „alle Vorschläge begrüßt, die eine gerechtere Aufteilung der Migranten zur Folge haben“. Der Vorschlag der Ministerin zu europaweiten Resettlement-Programmen für besonders Schutzbedürftige, die nach einem gleichmäßigen Quotensystem und „unter Rücksichtnahme auf die bereits jetzt vorhandene ungleiche Verteilung“ auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt würden, rief unter den EU-Staaten gestern bei Deutschland und Schweden „offen positive“ Reaktionen hervor. „Es geht um eine möglichst schnelle Lösung für Menschen, die wirklich auf der Flucht sind“, so Mikl-Leitner zur „Presse“. Die Migranten sollten vom UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR – das die Programme schon länger forciert – an jenen „Hotspots“ in Afrika aufgegriffen werden, wo sie zu Hunderttausenden auf die Überfahrt nach Europa warten. Doch die Chancen auf eine Einigung für das Projekt stehen wieder einmal nicht zum Besten. „Viele Länder nähern sich jetzt schon der Schmerzgrenze, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft“, räumt Mikl-Leitners Sprecher Hermann Muhr ein. Dass Österreich derartige Programme nunmehr unterstützt, bezeichnet die Ministerin selbst als „Paradigmenwechsel“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2014)