EU-Gericht: Zuzug ohne Sprachkenntnisse

Viktor Adler Markt, Wien.
Viktor Adler Markt, Wien.Die Presse (Fabry)
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Deutschland darf für den Familiennachzug von Türken keinen Nachweis einfacher Deutschkenntnisse mehr verlangen, entschied der EuGH. Österreich prüft das schon seit zwei Jahren nicht mehr.

Wien/Luxemburg. Familienangehörige von türkischen Zuwanderern dürfen künftig auch ohne Deutschkenntnisse einwandern. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag im Fall der Ehegattin eines nach Deutschland eingewanderten Türken, deren Visum von der deutschen Botschaft in Ankara abgelehnt wurde. Argumente der deutschen Regierung, dass mit einem solchen Nachweis über einfache Sprachkenntnisse der Zwangsverheiratung junger türkischer Frauen entgegengewirkt und die Integration türkischer Familien gefördert werde, ließen die EU-Richter nicht gelten. Sie sehen die Familienzusammenführung als „unerlässliches Mittel“ zur Verbesserung der Qualität des Aufenthalts und zur Förderung der Integration von Zuwanderern. Deutschland forderte bisher lediglich „elementare Sprachkenntnisse“ – also die Fähigkeit, sich selbst durch „vertraute Worte“ und „einfache Sätze“ verständlich zu machen.

Der EuGH verweist in seiner Begründung zudem auf eine Stillhalteklausel im Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei aus den 1970er-Jahren. Demnach darf die zuerkannte Niederlassungsfreiheit für türkische Staatsbürger in der EU nicht nachträglich eingeschränkt werden. Deutschland hat seine Beschränkung des Familiennachzugs aber erst 2007 verschärft.

Das Urteil des Gerichtshofs hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf Österreich, wie Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, im Gespräch mit der „Presse“ betont. „Deutsch vor Zuzug wird bei türkischen Staatsangehörigen von den hiesigen Behörden seit zwei Jahren ohnehin nicht mehr geprüft.“

Der Grund: Im November 2011 gab es in Österreich einen ähnlichen Fall, der vor dem EuGH landete und Konsequenzen für die bis dahin geltende Verpflichtung von Basis-Deutschkenntnissen für zuziehende türkische Familienangehörige hatte: den Fall Dereci. Dabei verwiesen die EU-Richter – wie gestern auch im Urteil zum deutschen Fall Dogan – auf das Assoziierungsabkommen mit der Türkei. Folglich dürfen sämtliche Verschärfungen des Fremdenrechts seit Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995 nicht auf türkische Staatsbürger angewandt werden – das betrifft auch die seit 2011 als Voraussetzung für den Familiennachzug verlangten Sprachkenntnisse.

Tür darf nicht mehr geschlossen werden

„EU-Staaten dürfen die Tür für türkische Staatsbürger also öffnen, aber um keinen Millimeter mehr schließen“, analysiert der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer die EuGH-Rechtssprechung. Selbst wenn Länder Erleichterungen beim Zuzug eingeführt haben, dürfen sie nachträglich nicht mehr zu strengeren Regeln zurück. Obwexer verweist im Gespräch mit der „Presse“ auch darauf, dass die EU-Richter selbst einen Zusammenhang zwischen der im Assoziierungsabkommen festgeschriebenen Niederlassungsfreiheit und dem Familiennachzug geschaffen hätten.

Kurios ist, dass die österreichische Bundesregierung auf ihrer offiziellen Homepage zu Fragen der Migration nach wie vor den „Nachweis von Deutschkenntnissen“ als Bedingung für die Genehmigung eines Familiennachzugs festschreibt. Ausnahmen für die nicht unwesentliche Zahl an betroffenen Türken werden hier nicht angeführt. Insgesamt folgen laut Innenministerium jährlich etwa 1300 türkische Familienmitglieder ihren in Österreich lebenden Angehörigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

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