Die Wiener Kinderuni bietet ein Komplettpaket für benachteiligte Kinder. Denn: "Dass das Angebot gratis ist, ist nicht genug."
Der elfjährige Emre zuckt mit den Schultern und grinst verlegen. Nein, an einer Uni oder Fachhochschule war er noch nie. Und wie es dort ist, kann er sich auch nicht so richtig vorstellen. „Keine Ahnung.“ Das wird sich im Lauf des Tages noch ändern. Emre ist am Weg zur Kinderuni, allerdings nicht mit Mama oder Papa. Sondern mit acht anderen Kindern und zwei Betreuern, die die Kinder in der Früh in einem türkischen Kulturverein in Wien Brigittenau abgeholt haben, einen Tag lang begleiten und abends nach Hause bringen.
Tagesticket heißt das Modell, das es seit 2010 gibt. Es ist sozusagen ein Rundumpaket, mit dem man auch Kinder aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien an die Kinderuni bringen will. „Am ehesten machen davon ja Kinder Gebrauch, deren Familien ohnehin bildungsaffin sind“, sagt Karoline Iber vom Kinderbüro der Uni Wien. „Die Kinderuni richtet sich aber an alle – und wir sind streng mit dem Begriff ,alle‘. Dass ein Angebot gratis ist, ist alleine nicht genug.“
„Mit Überleben beschäftigt.“ Und so arbeitet die Kinderuni mit verschiedensten Einrichtungen zusammen – von der Caritas über Flüchtlingsheime bis hin zu – wie im heutigen Fall – Kulturvereinen, die Kindergruppen zusammenstellen. Die Eltern der Kinder, die heute dabei sind, sind in zweiter Generation im Land, alle haben türkische Wurzeln. „Manche haben eine Lehre gemacht, andere mit der Pflichtschule aufgehört“, sagt eine Mutter, die die Gruppe begleitet. „Bei uns hat es mit der Uni nicht geklappt – wir hoffen, dass es unsere Kinder vielleicht schaffen.“
Insgesamt will die Kinderuni mit den Tagestickets jene ansprechen, für die die Uni kein logischer Schritt ist – oft im Gegenteil. „Das kann sein, weil die Eltern nicht gut genug Deutsch können, weil sie mit Überleben beschäftigt sind und nicht die Ressourcen und die Energie haben, um ihre Kinder zu unterstützen“, sagt Iber. Auch, weil es noch keinen in der Familie gibt, der diesen Weg gegangen ist, oder weil die Familie sich und dem Kind das nicht zutraut. „Viele meinen: Die Uni, das ist nur was für die anderen. Mit diesem Bild wollen wir brechen.“
Wie ein richtiger Forscher. An der Fachhochschule im zehnten Bezirk warten schon zwei Dutzend andere Kinder. Sie haben schon die weißen Labormäntel an, vor ihnen liegen die transparenten Schutzbrillen, die die Kinder aufsetzen dürfen. „Wie richtige Wissenschaftler“, sagt die zwölfjährige Aslinur – die aber auch schon weiß, dass Forscher nicht immer so gekleidet sind. „Die können auch ganz normal angezogen sein.“
Die Biomedizinerin Susanne Bauer-Rupprecht trägt jedenfalls den weißen Mantel. Unter Anleitung von Studenten basteln die Kinder DNA-Stränge aus Gummibären, sie isolieren ihre eigene DNA aus einem Schluck Iso-Drink und bestimmen Blutgruppen.
„Es war schön“, sagt Emre danach. Und ja, er möchte schon gern wiederkommen. Vielleicht sogar richtig hier studieren? „Ja, vielleicht?“ Ein Muss ist es jedenfalls nicht. „Die Kinder und Jugendlichen müssen sich nicht für eine Uni-Karriere entscheiden“, sagt Karoline Iber. „Unser Ziel ist, dass sie und ihre Familien sich bewusst entscheiden können, ob sie diesen Weg anstreben wollen oder nicht.“ beba
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)