Gerngross: Der Tod des Kaufmannes durch die Diktatur der Marken

'GERNGROSS' EROEFFNETE NACH UMBAU
'GERNGROSS' EROEFFNETE NACH UMBAUAPA/HERBERT NEUBAUER
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Gerngross, einst das glanzvollste österreichische Kaufhaus der Monarchie, ist heute schon lange ein Einkaufszentrum. Ein Schicksal, das es mit vielen ehemaligen Kaufhäusern teilt.

Wie viele Erfolgsgeschichten im Handel begann auch jene von Gerngross klein: Im September 1879 eröffnete Alfred Gerngroß im siebten Wiener Gemeindebezirk, Ecke Mariahilfer Straße/Kirchengasse, ein Stoffgeschäft. Gelernt hatte der Mann bei einem damals in Wien schon renommierten Kaufhaus – bei Herzmansky (ebenfalls in der Mariahilfer Straße, heute steht dort ein Peek & Cloppenburg).

In den 1880er-Jahren avancierte Gerngroß zum größten Kaufhaus der Monarchie, dessen Lichthalle an den international bekannten Kaufhäusern wie Harrods oder den Galeries Lafayette an Pracht um nichts nachstand. Kaufhäusern, die für eine neue Klientel, das aufstrebende Bürgertum, erstmals auf großen Flächen Konsum in einer nie da gewesenen Komprimiertheit und Fülle neu inszenierten.


Arisiert. Die beiden Weltkriege bereiteten dem Aufstieg von Gerngross ein jähes Ende. Nach dem Anschluss 1938 wurde das Kaufhaus arisiert, die Mitglieder der jüdischen Familie Gerngroß mussten fliehen. Alfreds Sohn Paul kehrte nach dem Krieg zurück, übernahm im Rahmen eines Restituierungsverfahrens das Kaufhaus und führte es in den konsumhungrigen Fünfzigerjahren zu einer zweiten Blüte. Doch dann folgte 1957 der Verkauf an Hertie, und von da an gaben sich die Eigentümer die Klinke in die Hand, darunter Konsum, Palmers und Wolford und seit 2004 der Investmentfonds Deka-Immobilien. Erst im März dieses Jahres bekam Gerngross mit der SES-Gruppe des Spar-Konzerns einen neuen Betreiber.


Abgebrannt. Die alte architektonische Pracht war ohnehin bereits 1980 einer neuen Sachlichkeit gewichen. Bei einem Brand 1979 wurde die gesamte alte Bausubstanz zerstört, das Haus wurde völlig neu wieder aufgebaut. Und seit Mitte der 1990er-Jahre ist Gerngross kein Kaufhaus mehr. Sondern ein Einkaufszentrum, das sich mit Shops im Shop zumindest in den unteren Stockwerken noch einen kleinen Rest Kaufhausflair bewahrt hat.

Das Schicksal teilt Gerngross mit vielen ehemaligen österreichischen Kaufhäusern. Sofern sie nicht irgendwann zusperrten, wurden die meisten spätestens in den Neunzigerjahren zu Shoppingcentern umfunktioniert (eine Ausnahme ist das inhabergeführte Kaufhaus Kastner & Öhler in Graz).

Der Siegeszug des Einkaufszentrums hat zwei Gründe: Erstens ist es für die Betreiber wesentlich einfacher zu managen. Denn während ein Kaufhaus den ganzen Einkauf, die Warenlogistik und den Verkauf selbst regeln muss, überlässt das ein Einkaufszentrum seinen Mietern. Und sichert sich damit durch die Werbemacht, die hinter den großen Marken steht, auch eine Attraktivität, die ein Kaufhaus mit einer Mischung verschiedener, auch weniger bekannter Marken nur schwer übertrumpfen kann. Denn wenn Konsumenten einen Apple-Store besuchen, wollen sie nicht nur das Produkt, sondern auch die Inszenierung der Marke. Die fällt in einem Kaufhaus quasi weg.

Kampf um Innovationen. Dazu kommt, dass die Stärke der Marken den Kaufhäusern paradoxerweise das Leben schwer macht. „Marken sind so stark geworden, dass sie die Innovation frühzeitig abzweigen. Für ein Kaufhaus ist Innovation mit neuen Produkten aber einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Wettbewerb – dass man rascher reagieren kann als Monobrand Stores“, sagt Marcus Wild, CEO der Gerngross-Managementgesellschaft SES.

Das sei allerdings nur sinnvoll, wenn man diese auch an genügend Vertriebspunkten in entsprechend großen Mengen absetzen könne. Für ein einzelnes Kaufhaus sei der Aufwand einer eigenen Einkaufsabteilung daher kaum wirtschaftlich sinnvoll.

Man kann diese Entwicklung bedauern, weil damit das Metier des Kaufmannes, der im großen Stil Waren aller Art vertreibt, verloren geht. Es hilft aber nichts. Die Entwicklung hat schon längst stattgefunden.

Historisch

1879Gründung. Alfred Gerngross eröffnet auf der Mariahilfer Straße ein Stoffgeschäft.

1883GmbH. Das Unternehmen wird in eine Gesellschaft umgewandelt und entwickelt sich in den folgenden Jahren zum größten Kaufhaus der Monarchie.

1957Verkauf. Die Firma Hertie kauft Gerngross. Von da an wechselnde Eigentümer.

1997Umwandlung. Nach einem Umbau eröffnet Gerngross als Shoppingcenter wieder seine Pforten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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