60 Jahre Israel sind 60 Jahre Katastrophe

Die Welt feiert Israel – uns sei es gestattet, der „Nakba“ zu gedenken.

Die einen feiern 60 Jahre Staatsgründung, die anderen reden von der „Nakba“, auf Arabisch „Katastrophe“. So eng kann Freude und Leid beieinander liegen. Die einen feiern ein rundes Jubiläum, die anderen warten noch immer auf ihren Staat. Keiner redet von dem Existenzrecht des palästinensischen Staates. Gewiss stellt ihn keiner explizit in Frage, doch implizit wird alles getan, um es zu verunmöglichen. Allein die illegalen Siedlungen zerfransen das Gebiet und lassen es wie einen Fleckerlteppich aussehen, wirtschaftlich und politisch nicht überlebensfähig. Eine Politik der vollendeten Tatsachen.

Politische und militärische Übermacht

Ben Gurion selbst äußerte einst seine Besorgnis darüber, dass die Araber Israel nie anerkennen würden. Denn die biblische Legitimation ist einseitig, die zwar für die Juden gelten mag, aber ein solcher Anspruch kann andere nicht verpflichten, schon gar nicht die Araber, die unmittelbare Kontrahenten im Konflikt sind. Der Schrecken des Holocaust ist das schlagende Argument in dieser Diskussion, schließlich nannte niemand Geringerer als Abba Eban die Grenzen von 1967 als die Grenzen von Auschwitz.

Doch auch diese Legitimation ist nur zum Teil universalistisch, denn die Palästinenser haben mit dem Holocaust nichts zu tun. Noch frisch in Erinnerung ist die Weigerung des damaligen Außenministers von Ägypten, Amr Musa, in den 90er-Jahren, den sonst obligaten Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte in Yad Vashem abzustatten, mit dem Hinweis, die Araber seien nicht für den Holocaust zu verpflichten.

Was den Arabern übrigbleibt, ist die Anerkennung der Faktizität Israels. Und hier scheint der einzig mögliche pragmatische Weg der Lösung. Israel sollte mehr pragmatische als dogmatische Diskussionen zulassen. Angebote auf einen längeren Waffenstillstand von zehn Jahren und mehr sollten akzeptiert werden. Denn politisch wie militärisch sind die Israelis übermächtig. Sie, vor allen anderen, tragen die Verantwortung dafür, dass der tote Punkt überwunden wird.

Jerusalem ist schon ethnisch geteilt

Die Hamas wird sich in eine politische Bewegung verwandeln, sofern sie die Gelegenheit dazu bekommen würde. Solche Metamorphosen hat es in der Geschichte schon öfters gegeben. Und eine Lösung der großen Brocken – Status Jerusalems, Siedlungen, Rückkehrrecht der vertriebenen Palästinenser – muss dringend angegangen werden. Tony Judt meint zwar, es wird keine Rückkehr vertriebener Palästinenser geben; umgekehrt ist es aber Zeit, jüdische Rückkehransprüche aufzugeben. Denn Jerusalem ist, wie er meint, schon jetzt ethnisch geteilt und wird am Ende die Hauptstadt beider Staaten sein. Auch Israel wird es nicht erspart bleiben, dunkle Seiten seiner Geschichte aufzuarbeiten und Wiedergutmachungen zu leisten.

Das Jahr der Staatsgründung Israels ist auf das engste mit dem Kontext des Zweiten Weltkriegs verknüpft. Angelika Merkel hat das nicht vergessen. Doch sollte sie auch überlegen, ob nicht Deutschland für das Schicksal der Palästinenser und die vielen noch vertriebenen Flüchtlinge eine historische Verantwortung trägt.

Die Muslime Europas als Zuwanderer haben mit dieser dunklen Geschichte Europas, Gott sei Dank, nichts zu tun. Doch verpflichtet uns unsere neue Heimat genauso, ihre Geschichte mitzutragen. Man kann sich nicht nur die Rosinen aussuchen. Daher werden wir Mitstreiter gegen jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit sein. Aber wir werden uns mit der legitimen Forderung der Palästinenser solidarisieren. Und es sei uns gestattet, der „Nakba“ zu gedenken.

Omar Al-Rawi, geboren 1961 in Bagdad, ist

Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubens- gemeinschaft in Österreich.


meinung@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2008)

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