Zeit für eine Rückkehr zur sprachlichen Normalität

800 Sprachkritiker gegen die Zerstörung der Sprache durch Binnen-I und andere von oben verordnete Verunstaltungen.

Sehr geehrte Frau Minister Heinisch-Hosek, sehr geehrter Herr Minister Mitterlehner!

Die gegenwärtige öffentliche Diskussion zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern veranlasst die unterzeichnenden Linguisten, Germanisten, Hochschul-, Gymnasial- und Pflichtschullehrer, Journalisten und Schriftsteller, aber auch andere Personen des Gesellschaftslebens, dringend eine Revision der gegenwärtigen Vorschriften zu fordern. Es ist Zeit für eine Rückkehr zur sprachlichen Normalität.

Die derzeit durch den Frauenförderungsplan von oben her verordnete konsequente getrenntgeschlechtliche Formulierung zerstört die gewachsene Struktur der deutschen Sprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit. Man versuche zum Beispiel nur §2 des Bundesgleichbehandlungsgesetzes zu lesen und zu verstehen. Die Verpflichtung zur generellen getrenntgeschlechtlichen Formulierung führt darüber hinaus dazu, dass manche Aussagen nun schlichtweg nicht mehr „politisch korrekt“ formulierbar sind, zum Beispiel Sätze wie „Frauen sind eben doch die besseren Zuhörer“. Das Beispiel zeigt klar auf: Die verordneten Vorschriften widersprechen zum Teil den Grundregeln unserer Sprache. Sprache dient nämlich sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form einzig und allein der problemlosen Verständigung und nicht der Durchsetzung partikulärer Interessen.

Die trotz jahrzehntelanger intensiver Bemühungen gering gebliebene Akzeptanz der feministischen Vorgaben muss zu denken geben:


•Laut jüngsten Umfragen lehnen 85 bis 90Prozent der Bevölkerung die gegenwärtige Praxis der Textgestaltung im öffentlichen Bereich ab.
•Eine wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahr 2013 kam zum Ergebnis, dass in Printmedien nur bei 0,5Prozent von Aussagen, die auf beide Geschlechter bezogen sind, getrenntgeschlechtlich formuliert wurde.

Die feministisch motivierten Grundsätze zur „sprachlichen Gleichbehandlung“ basieren auf einer einseitigen und unrichtigen Einschätzung der Gegebenheiten in unserer Sprache. Das „generische Maskulinum“ (z.B. Mensch, Zuschauer...) zum Feindbild zu erklären und dessen Abschaffung zu verlangen blendet die Tatsache aus, dass unsere Sprache ebenso ein „generisches Femininum“ (z.B. Person, Fachkraft...) und ein „generisches Neutrum“ (z.B. Publikum, Volk...) kennt. Alle seit Jahrhunderten als Verallgemeinerungen gebrauchten Wörter umfassen prinzipiell unterschiedslos beide Geschlechter. Die angeführten Beispiele beweisen dies.

Es kann also weder die Rede davon sein, dass das jeweils andere Geschlecht nur „mitgemeint“ sei, noch dass das „generische Maskulinum“ ein „geronnener Sexismus“ wäre und für die Unterdrückung der Frau in der Sprache stünde. Die Sprachfrequenzforschung belegt ganz im Gegensatz dazu überzeugend, dass der feminine Artikel „die“ in allen Arten von Texten um ein Vielfaches häufiger repräsentiert ist als der maskuline Artikel „der“.

Folgende aus den angeführten irrigen Grundannahmen entstandenen Verunstaltungen des Schriftbildes sind daher wieder aus dem Schreibgebrauch zu eliminieren:
•Binnen-I, z.B. KollegInnen
•Schrägstrich im Wortinneren, z.B. Kolleg/innen
•Klammern, z.B. Kolleg(inn)en
•hochgestelltes „a“ bzw. „in“ im Anschluss an bestimmte Abkürzungen, z.B. Mag.a, DIin

Alle genannten schriftlichen Verunstaltungen entsprechen einerseits nicht dem derzeit gültigen „Amtlichen Regelwerk“ zur deutschen Rechtschreibung, andererseits enthalten sie zum Teil grammatische oder sprachlogische Fehler und können in den angebotenen Formen nicht unmittelbar gelesen werden. (Näheres dazu ist in diversen Publikationen von Brühlmeier, Kubelik, Pohl u.a. nachzulesen.) Darüber hinaus erscheinen die femininen Formen in solchen Konglomeraten jeweils nur als „Anhängsel“ der maskulinen, wobei die maskulinen Formen durch „Anhängsel“ ebenfalls entstellt werden – keines von beiden Geschlechtern kann sich damit respektvoll angesprochen fühlen.

Auch auf die Forderung, ausweichende Formulierungen zu suchen, ist zu verzichten, weil der Schreiber durch krampfhaftes Suchen nach Ersatzformen häufig vom Wesentlichen des Inhalts abgelenkt wird und andererseits der Leser durch gekünsteltes Wortgut irritiert wird.

Außerdem muss gewährleistet sein, dass durch die traditionsgemäße Anwendung verallgemeinernder Wortformen die Verständlichkeit von Texten wieder den Vorrang vor dem Transport feministischer Anliegen eingeräumt bekommt. Dies vor allem im Hinblick auf
•Kinder, die das sinnerfassende Lesen erlernen sollen,
•Menschen, die Deutsch als Fremdsprache erwerben und
•Menschen mit besonderen Bedürfnissen (z.B. Blinde, Gehörlose, Menschen mit eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten).

In Schulbüchern dürfen daher nicht länger sprachlich zerstörte Texte stehen wie „Sie/Er verbindet ihr/ihm die Augen und führt sie/ihn an der Hand zu ihrer/seiner Garderobe.“ In amtlichen Texten und Formularen dürfen nicht länger entstellte Formulierungen zu finden sein wie „Unterschrift ZeichnungsberechtigteR“. Studenten sollen in ihren wissenschaftlichen Arbeiten nicht länger höheres Augenmerk auf das „richtige Gendern“ zu legen haben als auf den Inhalt ihrer Arbeit (siehe das Interview mit Univ.-Prof. Dr. Rudolf Taschner in „News“ 31/2013).

Basisdemokratische Sprache

Sprache war und ist immer ein Bereich, der sich basisdemokratisch weiterentwickelt: Was die Mehrheit der Sprachteilhaber als richtig empfindet, wird als Regelfall angesehen. Wo immer im Laufe der Geschichte versucht wurde, in diesen Prozess regulierend einzugreifen, hatten wir es mit diktatorischen Regimen zu tun. Das staatstragende Prinzip Demokratie verbietet daher a priori sprachliche Zwangsmaßnahmen, wie sie derzeit überhandnehmen.

Ein minimaler Prozentsatz kämpferischer Sprachfeministinnen darf nicht länger der nahezu 90-prozentigen Mehrheit der Staatsbürger seinen Willen aufzwingen.

Der Entwurf der ÖNORM A1080, der die öffentliche Debatte zu diesem Thema ausgelöst hatte, präsentiert einen Vorschlag, der die feministischen Anliegen maximal berücksichtigt, aber andererseits eine Rückkehr zur sprachlichen Normalität ermöglicht. Die Unterzeichnenden plädieren daher mit Nachdruck dafür, diesen Entwurf auch auf höchster politischer Ebene zu unterstützen und zur Grundlage der Textgestaltung im öffentlichen Bereich zu erklären.


Gezeichnet:
Dr. Annelies Glander, Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien
Dr. Tomas Kubelik, Gymnasiallehrer, Autor des Buches „Genug gegendert“, Melk
Univ.-Prof. i.R. Dr. Heinz-Dieter Pohl, ehem. Professor für Sprachwissenschaft, Universität Klagenfurt
Em. o. Univ.-Prof. Dr. Peter Wiesinger, em. Ordinarius für germanistische Sprachwissenschaft, Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Herbert Zeman, Literaturwissenschaftler, Universität Wien
sowie rund 800 mitunterzeichnende Universitätsprofessoren, Lehrer, Journalisten und andere Sprachkritiker, darunter


Konrad Paul Liessmann, Peter Kampits, Rudolf Taschner, Heinz Mayer, Klaus Albrecht Schröder, Bastian Sick, Chris Lohner, Werner Doralt, Gudula Walterskirchen, ...

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2014)

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