Baumafia: Neue Betrugsanklage steht

Regelmäßige Baustellenkontrollen der Finanz: Manche Sozialbetrüger lassen sich davon aber nicht abschrecken.
Regelmäßige Baustellenkontrollen der Finanz: Manche Sozialbetrüger lassen sich davon aber nicht abschrecken.(c) BMF/citronenrot
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7500 Arbeiter wurden laut Finanzressort mittels Scheinfirmen bei Krankenkassen angemeldet, um Sozialleistungen zu bekommen. Dies ging allerdings erschreckend einfach.

Wien. Es klang beeindruckend, als das Finanzressort vorige Woche an die Öffentlichkeit ging: Ein „österreichweites Baumafia-Netz" sei von der Finanzpolizei ausgehoben worden. Ein ganzes Heer von Arbeitern - 7500 Personen - sei von gewieften Sozialbetrügern bei den Krankenkassen angemeldet worden. Es habe sich aber nur um Scheinfirmen gehandelt.

Zweck der Übung: Die Arbeiter kamen in den Genuss von Leistungen der Sozialversicherung (Beispiel: E-Cards). Die Scheinfirmen entrichteten nie Lohnabgaben. Als dies aufflog, wurde Insolvenz angemeldet und die nächste Scheinfirma gegründet. Die Hintermänner kassierten von den Arbeitern - und von Unternehmern, die die Arbeiter schwarz arbeiten ließen, „Honorare". Alles steuerfrei. Schaden für den Fiskus: 140 Millionen Euro.
„Presse"-Recherchen zeigen nun: Diese riesigen, vom Finanzressort genannten Dimensionen werden von der Justiz (noch?) nicht erfasst. In der neuen, der „Presse" vorliegenden Anklage gegen vier Männer geht es um 704 Scheinanmeldungen mit einem Schaden von 1.759.355,29 Euro.

Noch einmal zurück zur Verlautbarung des Finanzressorts: Von mächtigen Netzwerken rund um einen gewerblichen Buchhalter war die Rede. Von verschiedenen Betrugsmustern, Urkundenfälschungen und Scheinrechnungen. Der zuständige Sektionschef gab sich geheimnisvoll, verweigerte selbst die Nennung von Vornamen, obgleich die Drahtzieher - zwei davon sind nun neuerlich angeklagt - bereits in öffentlicher Verhandlung zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Und genau diese öffentliche Verhandlung - sie lief gegen vier Verdächtige, allen voran der 22 Mal vorbestrafte Buchhalter U. (58) - liefert bei genauerem Hinsehen alarmierende Einblicke in die Welt des Sozialbetrugs.

Die Frage war und ist doch: Wie schwer oder wie einfach ist es, den Fiskus zu betrügen? Am Ende des Prozesses wusste man: erschreckend einfach. Die handelnden Kriminellen müssen nicht besonders raffiniert sein. Dies ergibt sich aus einer unter Wahrheitspflicht abgelegten Zeugenaussage eines Vertreters der Wiener Gebietskrankenkasse. Der Mann erklärte, dass man Firmen bzw. Dienstnehmer elektronisch im System „Elda" bei einer Gebietskrankenkasse (GKK) anmelden könne. Man brauche eine E-Mail-Adresse, bekomme eine Seriennummer und Zugang zum Elda-Account. Dann sei es auch möglich, Arbeiter zu einer bestimmten Firma (im vorliegenden Fall: zu einer Scheinfirma) „dazu zu melden".

Der Zeuge erklärte Richterin Stephanie Öner („Die Presse" hat das Verhandlungsprotokoll): „Wenn Sie ein wenig technisch versiert sind, in ein Internetcafé gehen und Sie melden sich bei Elda an, bekommen Sie eine Seriennummer." Dann sei es eben auch möglich, Dienstnehmer zu einer bestimmten Firma „dazu zu melden". Damit lassen sich Arbeiter in eine Scheinfirma eingliedern - Arbeiter, die in einer anderen Firma schwarz arbeiten. Der Zeuge: „Wenn man sich ein wenig auskennt, dann geht dies." Komme die Krankenkasse drauf, würde die Seriennummer des Übeltäters gesperrt.

Aus der 18-seitigen Anklage von Staatsanwalt Michael Radasztics.
Aus der 18-seitigen Anklage von Staatsanwalt Michael Radasztics.Faksimile/“Die Presse“

Mitverschulden der Republik?

Nun würde man annehmen, dass damit auch der Inhaber der Seriennummer belangt werden kann. Mitnichten. Der Zeuge auf die Frage von Verteidiger Klaus Ainedter (er vertrat den 60-jährigen A. - dieser wurde schon einmal verurteilt und ist nun neuerlich angeklagt): „Wenn man geschickt ist, bekommt man einen Elda-Zugang, ohne dass ich meinen Namen bekannt geben muss. Das ist relativ einfach, habe ich mir sagen lassen."

Kein Wunder also, dass Ainedter erklärt: „Jede durchschnittlich intelligente Person kann sich mit einer eigens dafür erstellten E-Mail-Adresse, die - Stichwort: Vorratsdatenspeicherung - nach mehr als sechs Monaten nicht mehr ausforschbar ist, Zugang zum Elda-System verschaffen." Und: „Damit wird dem Sozialbetrug Tür und Tor geöffnet. Jeder, der in der Lage ist, eine E-Mail-Adresse einzurichten kann Scheinanmeldungen zur GKK vornehmen. Zivilrechtlich müsste sich die Republik jedenfalls einen Mitverschuldenseinwand gefallen lassen."

Man darf also gespannt sein, ob der neue, im Herbst startende Prozess ähnlich alarmierende Details an Licht bringt. Angeklagt sind Buchhalter U., A. (er ist Innenausbau-Spezialist), der Mazedonier K. (33) und der Wiener K. (45). Wieder geht es um Scheinanmeldungen (siehe Faksimile oben). Die Anklage nennt das gewerbsmäßigen Betrug.

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