Landfriedensbruch: „Purer Hass gegen die Staatsgewalt“

Demo gegen den Akademikerball
Demo gegen den Akademikerball(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Student, der gegen den FPÖ-Ball demonstriert hat, und Rapid-Fans, die sich mit der Polizei geprügelt haben, stehen kommende Woche vor Gericht. Wegen des gleichen Delikts – und das ist heftig umstritten.

Wien. Landfriedensbruch also. Unter diesem antiquiert klingenden Titel stellt der Gesetzgeber im § 274 des Strafgesetzbuches die bloße Teilnahme „an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge, die darauf abzielt, dass unter ihrem Einfluss“ schwere Gewalttaten begangen werden, unter Strafe (laut rechtswissenschaftlichen Kommentaren kann ab 100 Personen von einer Menschenmenge gesprochen werden). Zwei Merkmale müssen noch dazukommen, um Strafbarkeit herzustellen: Wer in der Menge mitläuft, muss wissen, was diese vorhat. Und: Nur wenn es auch tatsächlich zu Gewalttaten kommt, ist der Tatbestand erfüllt.

Dieses umständliche Konstrukt, das gemäß einer Regierungsvorlage aus dem Jahr 1971 auf der Erkenntnis aufbaut, dass „das Zusammenwirken einer Menge das Gefühl der Kraft hebt“ und dass sich „der Einzelne unter dem Einfluss einer Art Massenpsychose zu Handlungen hinreißen lässt, die er ohne das Beispiel der anderen nie begangen hätte“, wird nun von der Staatsanwaltschaft Wien erneut „ausgegraben“.

Sowohl ein deutscher Student, der 23-jährige Josef Bernd S., als auch 29 Rapid-Fans müssen sich in den kommenden Tagen – S. ab Montag, die Rapid-Fans ab Mittwoch – in Wien vor Gericht verantworten. Eben wegen Landfriedensbruchs (zudem verlangt die Anklage – da wie dort – auch Verurteilungen wegen Körperverletzung). „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen.

1. Warum ist der Tatbestand Landfriedensbruch problematisch?

Da es sich um einen pauschalen Vorwurf handelt, den man über eine ganze Menschenmenge quasi darüberstülpen kann. Auch Mitläufer, die nicht persönlich Gewalttaten begangen haben, können vor Gericht landen. Motto: Auch wer „nur“ dabei ist, macht sich strafbar.

2. Was genau wird dem Demonstranten Josef Bernd S. vorgeworfen?

Er soll am 24. Jänner dieses Jahres bei der Demo gegen den FPÖ-Ball in der Hofburg („Akademikerball“) als einer der Rädelsführer des Schwarzen Blocks eine „Vielzahl von Sachbeschädigungen“ (kaputte Auslagen, zerstörtes Polizeiauto) begangen haben. Den Schwarzen Block beschreibt Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter als Gruppe schwarz gekleideter und vermummter, gewalttätiger „Manifestanten“ bzw. „Demonstrationssöldner aus der BRD“. Josef S. – er sitzt seit dem Ball in U-Haft – bestreitet jegliche Gewaltanwendung.

Das Oberlandesgericht Wien sieht in einer Entscheidung, mit der eine Fußfessel abgelehnt und die U-Haft bekräftigt wird, den Verdacht, dass S. „offenkundig von purem Hass (auch) gegen die Staatsgewalt“ getrieben, „gefährliche Wurfgeschosse etwa in Form von Pflastersteinen“ gegen die Polizei geschleudert habe.

Jedoch existiere, so Verteidiger Clemens Lahner, kein einziges Foto oder Video, das diesen Verdacht stützt. Hingegen sagte ein Polizist als Kronzeuge bei einem vergangenen Verhandlungstermin unter anderem: „Ich habe gesehen, wie S. Fenster der Polizeiinspektion Am Hof einschlägt.“ Angemerkt sei, dass sich der Zeuge aber im Hinblick auf angebliche Anfeuerungsrufe von S. geirrt hat.

3. Was genau wird den Rapid-Fans vorgeworfen?

Sie sollen im Anschluss an ein Freundschaftsspiel des SK Rapid Wien gegen den 1.FC Nürnberg am 7.September 2013 vor dem Hanappi-Stadion auf Polizeibeamte losgegangen sein (mit Heurigenbänken als Wurfgeschossen etc.). Das Problem: Unter den 29 Angeklagten sind auch solche, bei denen Staatsanwältin Stefanie Schön sich offenbar auf bloße Schlussfolgerungen verlässt.

So heißt es etwa bei einem 26-jährigen Linzer Arbeiter nur sehr vage: „Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass G. das Geschehen zunächst nur beobachtet, dann jedoch beschließt [...], sich aktiv zu beteiligen, kann die subjektive Tatseite (der Vorsatz, Anm.) aus dem objektiven Tatgeschehen schlüssig abgeleitet werden.“ G. sagt jedoch, er habe nichts Verbotenes getan.

4. Bleibt das Delikt Landfriedensbruch so, wie es ist?

Nein. Beide Koalitionspartner möchten eine Reform. Abgesehen davon arbeitet im Justizressort eine Arbeitsgruppe an einer generellen Novelle des Strafgesetzbuches. Dass dabei auch der Landfriedensbruch neu umrissen wird, ist zu erwarten. ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter bezeichnete eine Überarbeitung des Tatbestands als sinnvoll. Allerdings müsse man auch überdenken, ob es ausreichend rechtspolitische Handhabe zum Auffangen von Gewalt größerer Gruppierungen gebe.

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim wünscht sich eine Präzisierung der Bestimmung, die nicht für Demonstrationen oder Sportveranstaltungen gedacht sei. Für eine gänzliche Abschaffung, wie sie die Grünen wollen, ist er allerdings nicht zu haben. Aus dem SPÖ-Parlamentsklub kam auf „Presse“-Anfrage der Vorschlag, zumindest das Wort „offenkundig“ in die Gesetzesstelle einzubauen. Also: Strafbar mache sich nur, wer sich einer Menschenmenge anschließe, die „offenkundig“ auf schwere Gewalttaten abziele.

AUF EINEN BLICK

Akademikerball. Nach Ausschreitungen gegen den von der FPÖ veranstalteten Ball in der Hofburg am 24.Jänner wurden von der Polizei 691 Personen angezeigt, 517 davon wegen des Delikts Landfriedensbruch. Bei der Staatsanwaltschaft laufen wegen dieses Delikts aber nur Verfahren gegen elf Personen.

Rapid. Nach dem Spiel Rapid gegen Nürnberg am 13.September 2013 gab es schwere Zusammenstöße von Fans mit der Polizei. Gegen 46 Personen wird wegen Landfriedensbruchs ermittelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

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