Hausgeschichten: Schottenring 19

Schottenring 19
Schottenring 19(c) Peter Klopf
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In der ehemaligen Frucht- und Mehlbörse arbeiten nun 232 Personen. Das Haus am Schottenring 19 musste erst freigeschält werden, um seine inneren Qualitäten zu beweisen.

Vor zwei Jahren war das Objekt am Wiener Schottenring 19 noch ein düsteres Gebäude. Wo immer die hohen, großen Räume Platz ließen, waren Wände und Decken eingezogen worden, der frühere Büromieter hatte sich Raum für Raum durch den Gebäudekomplex vorgearbeitet. Die bauliche Qualität des gründerzeitlichen Hauses war schließlich nur mehr von außen ablesbar.

Wenn man heute vom Schottenring her dieses neue Hauptquartier von Schönherr – die große Rechtsanwaltskanzlei hat diese Woche das halbe Haus bezogen – betritt, steht man in einem riesigen, lichten, hohen Entree: dem früheren Börsesaal. Rundbogen laufen rundherum, von oben fällt Licht durch eingeschnittene Glaskuppeln, in der Mitte des zweigeschoßigen Raumes erhebt sich eine Plattform mit dem Empfang. Eine Art Tisch – „wir haben ihn wie ein Möbel in den Raum geschoben“, erklärt Architekt Oliver Sterl vom Büro Rüdiger Lainer und Partner, die das Gebäude in den letzten beiden Jahren komplett umgekrempelt haben.

Green Building anno 1878

Schottenring 19 wurde 1878 von Rudolf Neumayr geplant, als Teil eines Ensembles von drei Häusern zwischen Schottenring, Börsegasse und Maria-Theresien-Straße. Die wahre Nutzung liegt etwas im Dunkeln, denn einst sollte hier die Frucht- und Mehlbörse sesshaft werden, doch schon wenig später hat diese bereits in der Taborstraße im heutigen Odeon-Theater Quartier genommen. Dass die Errichtung dieses Ringstraßenprachtbaus nicht gerade in eine wirtschaftliche Hochblüte – in die Zeit des Börsenkrachs und die Wiener Weltausstellung 1873 – fiel, zeigt sich auch an anderen Stellen als an chronikalen Lücken. Für die Eisentraversen etwa wurde eingesetzt, was gerade an Material da war, schildert Sterl. Als sie die ganzen Einzelteile des Baus gescreent hatten, fanden sie einige Schwachstellen. Schubsteifigkeit und Tragfähigkeit mussten erhöht werden. Scheiben (Stahlbetonwände) wurden vom Keller bis ins Dach eingezogen, die Decken verstärkt. „Sie halten 300 Kilo, sprich sechs Zementsäcke, pro Quadratmeter aus“, erklärt Sterl. Statisch ist das Haus in einem besseren Zustand, als es je war. Und energieseitig optimiert, mit Fernwärme und Fernkälte versorgt. „Aus einem 130 Jahre alten Haus wurde ein Green Building“, zeigt sich Peter Madl, Partner bei Schönherr, begeistert. Dieses Nachhaltigkeitskonzept setze man auch im Büroalltag fort.

Der Umbau des Souterrains, in dem sich Fitnessstudio und Bibliothek befinden, bis zum rekonstruierten Dach mit seinen Eckürmen, setzt einen vorläufigen Schlusspunkt unter 130 Jahren ständiger Veränderung. Dieser Freischälungsprozess von alten Schichten war auch deshalb möglich, weil „diese Gründerzeitbauten so clever strukturiert sind – mit einer Außenwand, einer tragende Mittelwand, einer Hofwand.“ Dadurch ergab sich hier eine Raumbreite von außerordentlichen 6,5 Metern. Damit konnte man leicht zwischen großen Flächen, abgeschlosseneren Zonen und einer kleinteiligen Gliederung aus Gängen und vielen kleinen Büroräumen variieren: „Wir haben uns noch nicht zu offenen Büros durchringen können, Juristen arbeiten gern in Einzelzimmern“, erläutert Madl. Immerhin sind die 232 Mitarbeiter nicht mehr auf fünf Standorte verteilt.

Dass im Zuge der Planungen das Objekt unter Denkmalschutz gestellt wurde, war Zufall wie Herausforderung, die man gemeinsam gut gemeistert hat, wie Architekt Martin Schwanzer als Eigentümervertreter der R.A.I. Betriebsberatungsgesellschaft bestätigt. So entspricht das Dach zur Straße fast dem Original, hofseitig konnte es aufgeklappt werden. Darunter wartet jetzt eine ballsaalgroße Fläche auf einen Büromieter. Und das Café am Schottenring auf jemanden, der es wieder zum Leben erweckt.

ZUM OBJEKT

Schottenring 19. Generalsanierung und der Dachgeschoßausbau wurden vor Kurzem abgeschlossen (Bauherr: R.A.I., Generalplanung: Rüdiger Lainer und Partner Architekten; Generalunternehmer: Strabag; Developer: Martin Schwanzer). 6000 m2 sind an die zentraleuropäische Rechtsanwaltskanzlei Schönherr vermietet, weitere 3500 m2 entfallen auf Büro und Kaffeehaus; www.schottenring19.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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