„Wirtschaftliche Bildung täte auch unseren Bankern gut“

Josef Aff
Josef Aff(C) Kompatscher
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WU-Professor Josef Aff fordert das Fach Wirtschaft an Gymnasien und findet, dass auch die politische Elite Nachhilfeunterricht brauchen könnte.

Die Presse: 15 Prozent der Schüler in den OECD-Ländern haben nur geringe Finanzkompetenzen, auch die österreichische Jugend schneidet bei Studien regelmäßig sehr schlecht ab. Liegt es mit dem Finanzwissen wirklich im Argen?

Josef Aff: Die erste Frage ist: Was versteht man unter Finanzwissen oder ökonomischer Bildung? Reicht es, dass die Leute Zinsen ausrechnen können, oder sollten sie Begriffe wie Bruttoinlandsprodukt oder Wirtschaftswachstum verstehen? Ich glaube nicht, dass man Finanzwissen von wirtschaftlicher Bildung abkoppeln kann. Wenn ich heute mein Geld in Aktien investieren will, sollte ich nicht nur wissen, was eine Aktie ist, sondern auch, was den Wert des Geldes ausmacht. Würde ich diese Frage im Parlament stellen, wäre das Ergebnis vermutlich ernüchternd.

Sie könnten Politiker fragen, was ein strukturelles Defizit ist.

Wenn ich Politikern zuhöre, habe ich tatsächlich den Eindruck, dass sie glauben, dass mit strukturellem Nulldefizit ein ausgeglichener Haushalt gemeint ist – und keine Mogelpackung, bei der die außerordentlichen Ausgaben wie jene für die Hypo nicht drin sind.

Täte wirtschaftliche Bildung auch unseren Politikern gut?

Sie täte auch unseren Bankern gut. Jenen, die vor 15 Jahren in Osteuropa offensiv für Fremdwährungskredite geworben haben. Wissend, dass jeder Fremdwährungskredit ein riesiges Währungsrisiko impliziert, das nicht nur ein Problem für den Kreditnehmer ist, sondern auch ein systemisches Risiko birgt.

Unterstellen Sie den Bankern mangelndes Finanzwissen?

Die Frage muss erlaubt sein, ob unter Finanzwissen auch gemeint ist, das Risiko von Fremdwährungskrediten abschätzen zu können. Wenn eine renommierte österreichische Großbank zum wiederholten Mal einen Milliardenbetrag abschreibt, hat das aus meiner Sicht auch etwas mit Financial Literacy zu tun.

Warum ist wirtschaftliche Bildung generell wichtig?

Weil heute ein Bürger, der bewusst an politischen Entscheidungen teilnimmt, ohne ökonomische Grundkenntnisse nicht mehr auskommt. Ich halte politische Bildung ohne ökonomische Bildung für obsolet.

Andererseits ist wirtschaftliche Unkenntnis ohnehin salonfähig.

Da kommen wir zum Grundproblem mit Humboldt und seinem gymnasialen Fächerkanon zurück. Humboldt, der ja diese gymnasiale Idee im deutschsprachigen Raum besonders geprägt hat, war der Meinung, man braucht antike Kenntnisse. Das finde ich alles auch wichtig. Nur glaube ich, dass diese Allgemeinbildung verbreitert gehört. Damit sind wir bei der großen Baustelle der ökonomischen Bildung in den Gymnasien. Die Lehrer sind in Sachen Wirtschaft völlig unzureichend ausgebildet. Diese Kombination Geografie und Wirtschaft ist ein Krebsgeschwulst. Weil man damit weder ausreichend fundiert Geografie noch Wirtschaft unterrichten kann.

Wie könnte man das verbessern?

Indem man ein eigenes Fach Wirtschaft einführt.

Ab wann?

Spätestens in der siebten und achten Klasse AHS sollte das Fach Wirtschaft unterrichtet werden. Da geht es nicht um Buchungstechnik, sondern um eine ökonomische Alphabetisierung. Das Ziel muss sein, den Wirtschaftsteil der „Presse“ lesen und verstehen zu können.

Mehr Schüler gehen ins Gymnasium, weniger in Berufsbildende Höhere Schulen, wo Wirtschaft unterrichtet wird. Der Trend geht in die andere Richtung.

Der Trend geht in Richtung Universität, der schnellste Weg dorthin führt über das Gymnasium. Trotzdem ist diese Vielfalt – AHS, berufliche Vollzeitschulen und Lehre – eine große Stärke des österreichischen Bildungssystems. Wenn man es daran misst, wie effizient es ist, geht es nicht nur um die PISA-Befunde. Für mich wird die Partie in der Frage entschieden: Gelingt der Übergang vom Bildungssystem in den Arbeitsmarkt? Und da ist Österreich hervorragend positioniert.

Finnland ist in der PISA-Studie ganz vorn, hat aber eine enorm hohe Jugendarbeitslosigkeit.

In Finnland ist auch der Anteil der Akademikerkinder in den renommierten Universitäten extrem hoch. In Österreich funktioniert die soziale Durchlässigkeit besser. Diesen Erfolg verdanken wir vor allem den Berufsbildenden Höheren Schulen. Dort sind etwa Migrantenkinder besonders stark vertreten, die auf diesem Weg eine Aufstiegschance bekommen.

Ist es auch Aufgabe der Schule, junge Leute stärker zum Unternehmertum zu motivieren?

Ich sage ja. Allerdings sehe ich diesen Unternehmergeist nicht nur in der Selbstständigkeit. Auch der großen Gruppe der künftigen Arbeitnehmer muss in der Schule diese Einstellung zur Mitverantwortung vermittelt werden. Entrepreneurship ist nicht auf den ökonomischen Aspekt zu reduzieren, sondern auch ein Beitrag zur Zivilgesellschaft. Stichwort soziale Entrepreneure. Ob als Arbeitgeber oder -nehmer, in allen Fällen bin ich aufgerufen, mir die Frage zu stellen: Was kann ich in meinem Bereich für einen Beitrag leisten? Es muss den Schülern auch bewusst gemacht werden, dass es einen Grund geben kann, auf eine hohe Rendite zu verzichten. Etwa, weil damit die Missachtung von Menschenrechten verbunden ist. Meine Utopie ist Leistungsorientierung und Verantwortlichkeit.

Aber beschränkt sich wirtschaftliche Bildung in der Schule nicht ohnehin in erster Linie darauf, die Wirtschaft als Ort der Gier, der sozialen Ausbeutung und der Umweltzerstörung darzustellen?

Ich glaube, das trifft tendenziell bei jenen Lehrern zu, die wirtschaftlich nicht gut ausgebildet sind. Da ist die Gefahr groß, dass es in Richtung einer Anti-Wirtschaftsbildung geht, wo der Klassenfeind immer implizit drinnen ist und man unter Bildung nur Konsumentenschutz versteht. Die Kunst ist, Ganzheitlichkeit zu schaffen. Man sollte volkswirtschaftliche Zusammenhänge verstehen, aber auch die ökologischen Fragen nicht ignorieren. Mich beschäftigt auch die Frage: Ist unsere Art des Wirtschaftens und Lebens für alle sieben Milliarden Menschen möglich? Und wir wissen: nein.

Es geht wohl immer um die Frage: Was ist ein guter Kaufmann? Können Sie sie beantworten?

Das ist jemand, der schwarze Zahlen schreibt, um sich selbst und seine Mitarbeiter zu finanzieren und dabei keine Steuergelder oder Subventionen braucht. Und der in der Lage ist, immer neue Geschäftsfelder zu entwickeln, der eine soziale Ader hat und ein Verständnis für gesellschaftliche Mitverantwortung.

Ist der Staat ein guter Kaufmann?

Wenn Sie Kaufmann mit klassischen Produkten meinen, eher nein. Ich sage nur Verstaatlichte, Bawag, Konsum. Ich würde daraus aber keine ideologische Front machen, nach dem Motto: Alles muss privatisiert werden. Es gibt Bereiche, welche die öffentliche Hand wesentlich mitgestalten sollte.

Bildung?

Das ist eindeutig eine öffentliche Aufgabe. Da bin ich sogar in Übereinstimmung mit Adam Smith.

ZUR PERSON

Veröffentlichen auch Sie ihre besten Ideen für Österreich: diepresse.com/99ideenJosef Aff leitet seit März 2005 das Institut für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien, davor lehrte er an den Universitäten Köln und Erlangen. Aff ist in Krems aufgewachsen, nach seinem Studium arbeitete er als Entwicklungshelfer in Niger in Westafrika. Vor seiner Habilitation in Innsbruck unterrichtete er 13 Jahre an einer Handelsschule und Handelsakademie. [ Roßboth ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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