11.000 demonstrierten in Wien friedlich gegen Israel

Die Demonstranten schlängelten sich durch die enge Kaiserstraße im siebenten Wiener Gemeindebezirk.
Die Demonstranten schlängelten sich durch die enge Kaiserstraße im siebenten Wiener Gemeindebezirk.(c) Clemens Fabry/Die Presse
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In Wien und anderen Städten gingen Zehntausende auf die Straße, um ihrer Wut Luft zu machen. Auch die IGGiÖ rief zum Ende der Gewalt in Gaza auf.

„Bevor Sie auf die Idee kommen, mich danach zu fragen: Ich bin keine Antisemitin, ich habe lediglich ein Problem mit der israelischen Regierung“, sagt Sinem Avci. Die 22-jährige Studentin trägt eine Bluse mit der Aufschrift „Free Palestine“. „Die Angriffe auf den Gazastreifen sind ein terroristischer Akt, bei dem Frauen und Kinder getötet werden“, meint die türkischstämmige Wienerin. „Daher bin ich hier, um meinen Unmut darüber kundzutun und zeigen, dass ich auf der Seite der Unschuldigen bin.“

Avci ist eine von rund 11.000 Demonstranten, die am Sonntag am Christian-Broda-Platz gegenüber des Wiener Westbahnhofs an einer Kundgebung gegen die israelische Militäroffensive im Gazastreifen teilnahmen. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die vor kurzem auch den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach Wien eingeladen hatte, rief zur Demonstration auf, die um 16.30 Uhr aufbrach, um über die Kaiserstraße, Burggasse und Bellariastraße über den Burgring zum Heldenplatz zu ziehen, wo kurz nach 18 Uhr eine Abschlusskundgebung stattfand. Die Protestaktion verlief ohne Zwischenfälle. Insgesamt war die Polizei mit knapp 200 Beamten im Einsatz.

Palästina- und Türkei-Flaggen

„Austria for Gaza“, „Lasst Gaza leben, lasst Gaza frei“ und „Gegen Israels Terrorkrieg, Intifada bis zum Sieg“ war unter anderem auf den Plakaten der Demonstranten zu lesen. Viele von ihnen trugen weiße T-Shirts, die man vor Ort um zwölf Euro kaufen konnte. „Weiß ist die Farbe des Friedens, damit wollen wir unsere Forderung nach einer Niederlegung der Waffen unterstreichen“, betont Leyla Tan. Die Kurdin war mit einigen Freunden aus Linz angereist ist.

Neben den hunderten palästinensischen Flaggen prägten auch einige Dutzend türkische Fahnen das Bild. Auch Ibrahim Navid hält eine in die Höhe. „Damit will ich verdeutlichen, dass die türkische Regierung als der wenigen weltweit das Vorgehen Israels scharf kritisiert“, sagt der 32-jährige Iraner. „Ich bedaure zutiefst, dass sich die meisten europäischen Staaten so gleichgültig angesichts des Blutvergießens verhalten.“ Seine Frau Asli ergänzt: „Israel macht sich gerade des Völkermordes schuldig. Die Militäroffensive ist keinesfalls verhältnismäßig. Wir sind hier, um zu fordern: Stoppt den Krieg. Stoppt den Mord.“

Friedliche Demonstrationen in Graz und Linz

In Graz und Linz wurden bereits am Samstag Protestkundgebungen für Gaza veranstaltet. In beiden Städten nahmen laut Polizei je zwischen 500 und 600 Personen teil, die Demonstrationen verliefen durchwegs friedlich.

Unterdessen rief auch die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGiÖ) zu einem Ende des Blutvergießens in Gaza auf. Von einer "Verhältnismäßigkeit der militärischen Operation gegen die Palästinenser kann keine Rede sein. Das Vorgehen Israels ist klar und deutlich zu verurteilen", schrieb IGGÖ-Präsident Fuat Sanac in einer Stellungnahme. Die Palästinenser würden im Gazastreifen leben "wie in einem riesigen Freiluft-Gefängnis, aus dem es keinen Ausweg gibt". Sanac betonte, dass es sich um einen politischen Konflikt handle. "Es ist darauf Bedacht zu nehmen, zwischen der Politik des Staates Israel und Menschen jüdischen Glaubens zu differenzieren", so der IGGiÖ-Präsident. "Eintreten für Gerechtigkeit und Rassismus oder Antisemitismus schließen sich aus", unterstrich er.

Erdoğan vergleicht Israel mit Hitler

Die israelische Militäroffensive im Gazastreifen, die bisher rund 400 Tote forderte, mobilisierte auch in anderen europäischen Staaten sowie der Türkei scharfe Proteste gegen das Vorgehen der Regierung in Jerusalem. Am vehementesten trug der türkische Premier Erdoğan nur wenige Wochen vor der Präsidentenwahl seine Kritik vor – wohl auch, um die antiisraelischen Ressentiments im Wahlkampf zu schüren. Er löste damit einen diplomatischen Eklat aus.

„Sie (die Israelis; Anm.) haben kein Gewissen, keine Ehre, keinen Stolz. Jene, die Hitler Tag und Nacht verurteilen, haben Hitler in Sachen Barbarei übertroffen“, sagte er bei einer Wahlkampfkundgebung in der Stadt Ordu. Zugleich warnte Erdoğan vor Übergriffen gegen jüdische Bürger in der Türkei. Vor allem in den sozialen Medien schwappt derzeit eine antisemitische Welle durch das Land. Das Außenministerium in Jerusalem sprach eine Reisewarnung für die Türkei aus. Nachdem die israelische Marine vor vier Jahren eine Hilfsflotte für den Gazastreifen angegriffen hatte, die im Begriff war, die Blockade zu durchbrechen, sanken die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei auf einen Tiefpunkt. Neun Türken kamen damals ums Leben, Erdoğan tat sich seither als Kritiker Israels hervor.

Am Wochenende kochte die Wut über Israels Offensive in zahlreichen europäischen Metropolen teilweise über. Ging es bei einer Demonstration in der Londoner Innenstadt noch recht friedlich zu, kam es in Paris zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Demonstranten. Trotz eines behördlichen Verbots nahmen mehrere tausend Menschen am Samstagnachmittag in der französischen Hauptstadt bei einer Solidaritätskundgebung für Palästina teil.

„Israel Mörder, Hollande Komplize“, riefen die Demonstranten, die auch dagegen protestierten, dass der französische Staatspräsident François Hollande sich nicht von der Politik Israels distanzierte, sondern gegenüber Premier Benjamin Netanjahu seine „Solidarität“ und sein „Verständnis“ zum Ausdruck gebracht hatte.

(("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2014))

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