Das Urteil gegen Josef S. ist ein Armutszeugnis für die Wiener Behörden.
Sollte die Aussage eines einzelnen Polizisten reichen, um einen Bürger in Haft zu nehmen? Das ist die Kernfrage, die sich stellt, nachdem der deutsche Student Josef S. wegen seiner Teilnahme an der teils gewalttätigen Demo gegen den FPÖ-Akademikerball im Jänner zu zwölf Monaten Haft (vier unbedingte davon bereits verbüßt) nicht rechtskräftig verurteilt worden ist.
Ausschlaggebend für das Urteil war vor allem die belastende Aussage eines Beamten – neben zahlreichen Indizien wie der Frage, was einen friedlichen Demonstranten an die Front eines aggressiven Mobs treibt.
Juristisch kann man das Urteil begründen – die Aussage eines Polizisten ist ein Beweis wie jeder andere. Wenn sie dem Gericht glaubwürdiger erscheint als alle Indizien, die für einen Freispruch sprechen – obwohl der Beamte sich in seinen Aussagen widersprochen hat –, ist das Urteil korrekt.
Aber es ist ein verdammt schmaler Grat zwischen Schuld- und Freispruch.
Es bleibt ein Armutszeugnis für die Ermittlungsarbeit der Wiener Behörden, dass sechs Monate, nachdem ein randalierender Mob durch die Innenstadt gezogen ist, genau ein einziges Urteil gefallen ist – das genauso gut auf Freispruch lauten hätte können, wenn nur einem einzigen Beamten bei seiner Aussage die Stimme gezittert hätte. Keine Sternstunde des Rechtsstaats.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2014)