Die Südafrikanerin Dada Masilo erzählt die Geschichte von „Schwanensee“ neu: Eine Story über Liebe, Homophobie und die Folgen von Aids – lustvoll getanzt.
Ausgerechnet Schwanensee! Muss man davor nicht Ehrfurcht walten lassen? Einen solchen Ballett-Klassiker neu zu interpretieren – dafür braucht es eine gewisse Unverfrorenheit. Und Dada Masilo hat davon offensichtlich mehr als genug: Die junge, aus dem südafrikanischen Township Soweto stammende Tänzerin und Choreografin zerlegt das Stück in die ihr wesentlich erscheinenden Einzelteile – von den typischen Arm- und Körperhaltungen der Schwäne bis zur hinreißenden Verliebtheit der Odette – und macht daraus eine völlig neue, feurige, auch ergreifende Liebesgeschichte, die doch viel mehr erzählt als das Drama um das verzauberte Schwanenmädchen und ihren von der falschen Odile geblendeten Prinzen.
Auch bei Masilo ist auf Siegfried kein Verlass – nur verschaut sich der nicht in eine andere, sondern in einen anderen. Masilo sind die Erwartungen und Gewohnheiten des Publikums einerlei. Sie lässt die Schwäne ganz unprätentiös barfuß antanzen, gibt selbst eine kahl geschorene Odette (mit neckischem Federaufputz auf dem Kopf), steckt auch die Männer ins Tüll-Röckchen und bedient sich aus einem breiten Spektrum von klassischem Repertoire, zeitgenössischem und afrikanischem Tanz. Elegantes Trippeln trifft auf hüftelastisches Tutu-Schütteln, gekonnt servierte Pirouetten kontrastieren rhythmisches Stampfen. Da könnte vieles schiefgehen, wären Masilo, die u.a. bei Anne Teresa de Keersmaekers P.A.R.T.S in Brüssel studiert hat, und ihre Truppe nicht so hervorragender Tänzer, die die interkulturelle Verständigung und völkerverbindende Bewegungssprache verinnerlicht haben. Sie fühlen sich im grazilen klassischen Ballett genauso beheimatet wie im energiegeladenen und geräuschintensiven Afro-Dance, bei dem Füße klatschen und Zungen schnalzen. Grazie trifft auf Temperament. Tschaikowski auf Musik von Steve Reich und Arvo Pärt.
Das passt erstaunlich gut zusammen. Und das Schönste ist: Masilo nimmt es mit Humor. Eine Conférencière führt durch den ersten Teil des Stücks und gibt die Worte des Ballett-Banausen Paul Jennings wieder, der einmal im „Sunday Telegraph Magazine“ seine erste Ballettvorstellung, „Schwanensee“, beschrieb: „Die Mädchen finden sich zu Gruppen zusammen und zeigen ihre Seegras-Arme, all dieses grazile Palmwedel-Zeug“, sagt die Erzählerin, und die Schwäne wiegen mit ergebenem Blick die Arme.
Die „Keiner liebt mich“-Pose
Masilo tobt wie ein Wirbelwind über die Bühne. Dann wieder vollführt sie den „Nobody Loves Me Fold-Up“ (© Jennings: die Schwäne falten sich zusammen – einen Fuß und die Arme nach vorn gereckt) so blitzartig und mit gespielter Verzweiflung, dass es ein Vergnügen ist, ihr zuzusehen. Trotzdem gelingt es ihr, den Klassiker nicht ins Lächerliche zu ziehen. Zum Schluss wird es ernst, geht es doch um heikle Inhalte wie Homophobie (Siegfried wird nach seinem Outing mit gruppendynamischen Drohgebärden ins Out gedrängt), die Folgen der Apartheid und Aids. Am Ende sinken alle Schwäne unter einem noch an die Heiterkeit des Beginns erinnernden Seifenblasenhimmel nieder.
WEITERS BEIM IMPULS-TANZ
Dada Masilos „Schwanensee“ ist noch heute (21h) und Freitag (18 und 21h) im Volkstheater zu sehen. Meg Stuart kehrt in „Sketsches/Notebook“ zu ihren Anfängen zurück: zur Improvisation (24.–27.7., 21h, MQW/Halle G). Butoh-Meister Ko Murobushi bewegt sich mit „Enthusiastic Dance on the Grave“ zwischen Tradition und Moderne (28./30.7., 21h, Akademietheater). Die österreichische Wahl-Berlinerin An Kaler kommt mit „Contingencies“ (29./31.7., 21h, Kasino am Schwarzenbergplatz).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)