Projekt Roadkill: Den toten Tieren auf der Spur

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Hunderte Menschen jagen tote Tiere mit Kameras. Fürs Citizen-Science-Projekt Roadkill dokumentieren sie, wie viele Tiere unter die Räder kommen.

Florian Heigl jagt Tiere. Dutzende hat er schon abgeschossen. Zuletzt war es eine Ringelnatter, die er beim Spazierengehen am Straßenrand im Waldviertel gefunden hat. Da war sie freilich schon tot, denn der Zoologe jagt seine Tiere bloß mit der Kamera – schießt Bilder, notiert, wo er sie gefunden hat, und trägt das über eine interaktive Plattform in eine Datenbank des Instituts für Zoologie der Universität für Bodenkultur (Boku) ein. In dieser Datenbank finden sich mittlerweile rund 1200 tote Tiere und ihre Fundorte. Heigl und seine Kollegen von der Boku haben mittlerweile knapp 400 freiwillige Unterstützer, die es ihnen gleichtun und das jedes Mal, wenn ihnen auf der Straße der Kadaver eines Tieres unterkommt, der unter die Räder eines Fahrzeugs gekommen ist, dokumentieren und in die Datenbank eintragen.


Unterschätzte Gefahr für Menschen. Seit März läuft das Citizen-Science-Projekt „Roadkill“ der Boku. Citizen Science, das heißt so viel wie Bürgerwissenschaft und bezeichnet jene Methode, bei der Forscher auf Wissen und die Beobachtungen von Laien zurückgreifen. Beteiligen kann sich daran jeder, der Kadaver, die er auf der Straße findet und die offenbar von einem Fahrzeug getötet wurden, in eine interaktive Karte einträgt (und eventuell auch fotografiert). Ist unklar, um welche Art es sich bei dem gefundenen Tier handelt, kann man sich in der Community Hilfe holen.

Roadkill – das steht dabei für jede Art von Tier, das auf den Straßen zu Tode kommt. Der deutsche Begriff Wildunfall greift den Zoologen von der Boku zu kurz, denn dieser bezieht sich nur auf größere Säugetiere und gelegentlich Vögel. Und auch offizielle Statistiken gibt es bisher nur dazu: Bloß „jagbares Wild“, das auf den Straßen verendet, wird gezählt. „Daten zu allen anderen Tieren, auch zu gefährdeten Arten, wie Amphibien oder Igeln, fehlen leider völlig“, so Projektleiter Johann Zaller, Professor für Ökologie an der Boku.

Derzeit sind es offenbar Igel, so ein erster Schluss aus den Daten, die dieser Tage auf den Straßen besonders oft überfahren werden, sagt Heigl. „Seit etwa einem Monat trifft das auf Igel ganz stark zu, die Zahl der Hasen ist dafür rückläufig. Die nächste Hochzeit des Roadkill steht aber erst bevor: Am meisten Tiere kommen im Frühjahr – dann v. a. wandernde Amphibien – und im Herbst – v. a. das Wild – zu Tode.

Zu zählen gibt es aber auch außerhalb dieser Saisonen genug. Wie viele Tiere es in Summe in Österreich sein könnten, die auf den Straßen sterben, das lässt sich kaum schätzen, aber allein die dokumentierten Fallzahlen sind hoch: In der Jagdsaison 2012/13 sind 81.140 Wildtiere auf Österreichs Straßen verendet, darunter 38.700 Rehe, 24.300 Hasen oder 8.800 Fasane, so die Daten der Statistik Austria. Und diese Unfälle sind gefährlich: Bei in der Unfallstatistik dokumentierten 329Wildunfällen wurde 2012 ein Mensch getötet, 383 wurden verletzt. Am häufigsten sind dabei Unfälle mit Rehen. Deren Gefahr wird oft unterschätzt, wie der ÖAMTC warnt: Prallt man mit 50km/h auf einen 20 Kilo schweren Rehbock, beträgt die Wucht des Aufpralls immerhin zwei Tonnen. Noch größer sei aber die Gefahr durch riskante Ausweichmanöver – schließlich landet man dabei leicht im Gegenverkehr oder kann in einen Baum prallen, warnt der Autofahrerklub und mahnt, besonders an bekannten Wildwechselstellen, in der Dämmerung und im Morgengrauen zur Vorsicht.


Kadaverdaten für Navis?
Beim Roadkill-Projekt der Boku geht es den Forschern vor allem um die Frage, was dazu beiträgt, dass Tiere im Straßenverkehr getötet werden. Aber, die Ergebnisse der Arbeit sollen freilich auch dazu beitragen, Straßen für Menschen sicherer zu machen. Etwa, indem Strecken identifiziert werden, in denen die Unfallhäufigkeit besonders hoch ist. Die Gefahr könnte dort dann etwa mit Hinweisschildern – wie zu den Wildwechselstellen – gemildert werden. Eine Vision der Forscher ist es auch, die Daten in Navigationsgeräte zu integrieren, damit Autofahrer eines Tages automatisch gewarnt werden, so Heigl.

Aber den Zoologen geht es freilich auch um den Schutz bedrohter Arten, etwa von Amphibien wie Fröschen, Kröten oder Salamandern, die in der „Roten Liste“ bereits als gefährdet eingestuft sind. Deren Lebensraum wird von Straßen durchschnitten. Auf der Suche nach Nahrung oder Paarungspartnern legen Amphibien, Rehe oder Igel, weite Strecken zurück und müssen immer wieder Straßen queren. Dokumentiert man besonders gefährliche Stellen und versucht, die Gefahr dort zu mindern, kann das auch das Aussterben bedrohter Arten aufhalten. Auch dafür soll Roadkill Lösungen finden.

Entwickelt hat Heigl das Projekt als Doktorand an der Uni für eine Lehrveranstaltung. Dabei ließ er zunächst Studenten über eine eigene App aufgefundene Kadaver dokumentieren und Statistiken erstellen. Seit März ist das Projekt – allerdings nun ohne App, diese wird dafür erst entwickelt – für jeden Hobbyzoologen zugänglich.

Die Resultate dieser Erhebung werden am Ende Teil von Heigls Dissertation sein. Aber, die Datensammlung soll auch danach weitergehen. Und, es könnte nicht das einzige Citizen-Science-Projekt bleiben, auf der Plattfotm www.citizen-science.at zur Datensammlung sollen, so Heigl, in Zukunft noch mehr Mitmachprojekte gesammelt werden.

Roadkill

Wie viele Tiere sterben auf Straßen? Um das herauszufinden, hat ein Boku-Team das Projekt Roadkill initiiert. Jeder, der eines findet, kann das auf www.citizen-science.at dokumentieren.

Offizielle Statistiken über im Straßenverkehr getötete Tiere gibt es bisher nämlich nicht: Bloß „jagbare“ Tiere, die zu Tode kommen, werden gezählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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