Streitfall Spekulation: Der andere Häuserkampf

Aktenvernichter mit Mietvertrag - shredding machine and a leasing contract
Aktenvernichter mit Mietvertrag - shredding machine and a leasing contract(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
  • Drucken

Nach der Räumung der Pizzeria Anarchia durch ein Polizeigroßaufgebot stellen sich mehrere grundlegende Fragen, etwa: Wie oft werden Mieter mit Schikanen vertrieben?

1 Wie oft gibt es Vorfälle wie jenen rund um die Pizzeria Anarchia?

Der Anlassfall ist ein Extremfall. Im Büro des Wiener Wohnbaustadtrats, Michael Ludwig (SPÖ), schätzt man, dass es jährlich etwa 30 Fälle gibt, in denen ein Hauseigentümer versucht – aus Gründen der Spekulation –, die Mieter mit Schikanen zu vertreiben. In den 1990er-Jahren seien es noch 200 Fälle gewesen. Was die Zwangsräumungen betrifft, hat die Mietervereinigung Wien nur Zahlen aus dem Jahr 2008. Demnach gab es in Österreich 100.000 Zwangsräumungen, dazu zählen aber auch jene Fälle, in denen Menschen im Zuge einer Insolvenz ihr Heim verlassen müssen.

2 Wie läuft es normalerweise ab, wenn der Eigentümer wegen Sanierung die Mieter ausquartieren will?

Liegt ein Kündigungsgrund vor (z.B.: die Miete wurde längere Zeit nicht bezahlt oder der Vermieter meldet Eigenbedarf an), kann der Mieter auf Kündigung oder Räumung geklagt werden. Ist ein Mieter zum Räumungstermin noch in der Wohnung, kommt ein Gerichtsvollzieher (oft samt Speditionstrupp), quartiert den Mieter aus und tauscht die Schlüssel. Die Kosten dafür muss der Vermieter vorschießen, später kann er versuchen, sie vom Mieter einzufordern. Liegt kein Kündigungsgrund vor, muss sich der Vermieter mit dem Mieter einigen – etwa indem er ihm eine Ersatzwohnung zu ähnlichen Konditionen anbietet und ihm eventuell einen gewissen Betrag zahlt (z.B. für Übersiedlungskosten). Dies sagt Georg Flödl vom österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft. Wenn der Mieter nicht will, hat der Vermieter Pech gehabt. Meist, sagt Flödl, einigt man sich aber.

3 Wie umgehen Vermieter (legal) Probleme mit der Kündigung?

Unter anderem durch befristete Mietverträge. Seit dem Jahr 2000 können Mietverträge mit einer Befristung von mindestens drei Jahren abgeschlossen werden. Der Vermieter braucht damit keinen Grund mehr, um Mieter aus einer Wohnung zu bekommen – denn der Vertrag läuft aus. Die Miete kann auch immer wieder „angepasst“, sprich erhöht werden.

4 Wie kann man schikanösen Spekulationen vorbeugen?

Die Mietervereinigung nennt drei Punkte: erstens eine höhere Besteuerung von kurzfristigen Immobiliengeschäften – die es in Form der Spekulationssteuer bereits gibt. Zweitens könnte mit einer Leerstandsabgabe verhindert werden, dass Häuser „bestandsfrei“ (frei von Mietverträgen) gemacht werden. Drittens schlägt man eine Infrastrukturabgabe vor – wenn etwa ein Haus durch die Aufwertung der Gegend attraktiver wird. Vonseiten des Verbands der Immobilienwirtschaft gibt man – obwohl man die Vorgangsweise der Vermieter im Anlassfall scharf verurteilt – zu bedenken, dass dahinter auch ein grundsätzliches Dilemma stecke, das derartiges Verhalten fördere: nämlich der große Unterschied zwischen sehr niedrigen Altmieten und erwartbaren hohen Neumieten. Mit einem „marktkonformen Mietzinsrecht“ falle ein wesentlicher Grund weg, Mieter aus Althäusern ausquartieren zu wollen.

5 Ist ein Verhalten wie jenes der Pizzeria-Eigentümer rechtlich fassbar?

Wenn Vermieter Mieter loswerden wollen, aber nicht können, heißt ein unschönes Mittel: „Leersanierung“ d.h. man öffnet z.B. das Dach für eine Sanierung, und dann passiert nichts, außer, dass sich die Mieter ärgern. Da in solchen Fällen aber die Baupolizei einschreiten muss, hat sich nun eine andere Methode entwickelt. Man holt „Problemmieter“. Im Anlassfall steht das auch klar in jenem Urteil vom 7.Jänner 2014, das Grundlage für die Räumung der Pizzeria Anarchia war: „Die Anwesenheit der Punks hätte die restlichen drei Altmieter (...) zum Auszug bewegen sollen.“ Im Gegenzug wurden den Punks von der Castella GmbH vom 14. Dezember 2011 bis 30.Juni 2012 zehn Wohnungen unentgeltlich und befristet zu Verfügung gestellt. Theoretisch können Mieter vom Vermieter verlangen, dass dieser störende Hausparteien in die Schranken weist. Aber wenn der Vermieter diese selbst einquartiert, hilft das wenig. Wobei im Anlassfall die Rechnung nicht aufging, da sich Alt- und Problemmieter verbündeten. Eine prinzipielle Idee, wie man der „Schikane durch Problemmieter“ abschreckend rechtlich begegnen könnte, stammt von Andreas Vonkilch, Zivilrechtsexperte an der Uni Innsbruck. Das Problem sei nämlich, dass der Schaden oft „nur“ in zermürbendem Ärger besteht. Im Mietrechtsgesetz gibt es aber eine Regel, an die man anknüpfen könnte. So müssen Sanierungen möglichst schonend durchgeführt werden. Geschieht das grob fahrlässig nicht, ist der immaterielle Schaden zu ersetzen. Ähnlich könnte man es regeln, wenn Mieter von „Problemmietern“ belästigt werden und der Vermieter das grob fahrlässig nicht abstellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

870.000 Euro kostete der Polizeieinsatz im Juli
Wien

"Pizzeria Anarchia": Räumung kostete 870.000 Euro

Bei der Räumung des von Punks besetzten Hauses in der Wiener Leopoldstadt standen insgesamt 1454 Polizeibeamte im Einsatz.
Kommentare

870.000 Euro Blaulichtsteuer

Wird die Polizei zu einem herkömmlichen Verkehrsunfall mit Sachschaden gerufen, kostet das den am Unfall beteiligten Anrufer 36 Euro. Wird die Polizei zur Räumung eines Hauses gerufen, kostet das 870.000 Euro.
RAeUMUNG DER 'PIZZERIA ANARCHIA'AArchivbild: Polizeieinsatz bei der "Pizzeria Anarchia"
Wien

"Pizzeria Anarchia": Disziplinarverfahren gegen Polizei-Gewerkschafter

Der freiheitliche Beamte war bei der Räumung des besetzten Hauses in Privatkleidung vor Ort. Er war bewaffnet und trug "nicht angemessene" Symbole, heißt es in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage.
Räumung der "Pizzeria Anarchia"
Pizzeria Anarchia

Die Räumung

Pizzeria Anarchia
Wien

Rechtsstreit: Pizzeria Anarchia bleibt Baustelle

Während die verbliebene Familie in der Mühlfeldgasse Schikanen der Eigentümer vermutet, reichte die Stadt Klage ein, um zumindest die Wasserversorgung wiederherzustellen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.