Kosovo-Kriegsverbrechen: Kein Persilschein für UCK-Führer

SITF Chief Prosecutor Williamson speaks during a news conference at the EU Council in Brussels
SITF Chief Prosecutor Williamson speaks during a news conference at the EU Council in Brussels(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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EU-Ermittler relativiert Organhandelvorwurf, kündigt aber Prozesse wegen „systematisch organisierter“ Verbrechen an serbischen Zivilisten an.

Belgrad/Brüssel. Die einstigen Kommandanten der Kosovo-Untergrundarmee UÇK hatten sich einen Persilschein erhofft. Doch den hat ihnen der US-Jurist Clint Williamson, der von der EU eingesetzte Sonderermittler, am Dienstag nicht geliefert.

Stattdessen kündigte er in Brüssel bei der Präsentation seiner Ermittlungsergebnisse neue Anklagen gegen führende Ex-Kommandeure der UÇK wegen Kriegsverbrechen an serbischen Zivilisten, vermeintlichen Kollaborateuren und politischen Rivalen an. Die von ihnen sanktionierten Gewaltexzesse hätten „kein höheres Ziel“ verfolgt, sondern nur der Selbstbereicherung und der Absicherung der eigenen Macht gedient: „Als Individuen müssen sie die Verantwortung für die begangenen Verbrechen tragen.“ Namentlich genannt hat Williamson zwar – noch – niemanden, aber die kommenden Anklagen vor dem noch einzurichtenden Sondertribunal könnten sich für mehrere führende Politiker des jüngsten Staates Europas noch als gefährlicher Stolperstein erweisen: Neben Premier Thaçi müssen auch dessen aussichtsreichster Nachfolgekandidat, Ramush Haradinaj, und sein möglicher Koalitionspartner, Fatmir Limaj, neue Prozesse fürchten.

„Handvoll Fälle von Organentnahme“

Zunächst hatte der Europarats-Berichterstatter Dick Marty in einem Bericht festgestellt, Kosovos amtierender Premier Hashim Thaçi sei mitverantwortlich dafür, dass Gefangenen der UÇK angeblich Organe entnommen worden seien. Die EU setzte dann im Herbst 2011 das von Williamson geführte Team ein. Sein nach drei Jahren Untersuchungen veröffentlichter Bericht hat die Organhandelvorwürfe nun etwas relativiert. Die Beweislage für eine Anklage wegen Organhandels hält Williamson für noch zu schwach, schloss aber eine solche bei neuen Beweisen nicht aus. Statt wie Serbiens Justiz sprach er zudem nicht von hunderten, sondern von einer „Handvoll“ mutmaßlicher Fälle von Organentnahme, deren Zahl er auf Journalisten-Nachfrage auf „weniger als zehn“ präzisierte: „Doch selbst im Fall, dass nur eine Person dieser furchtbaren Praxis ausgesetzt war, mindert es das Teuflische einer solchen Tat keineswegs.“

Mehr als 13. 000 Menschen wurden während und nach dem Kosovo-Krieg 1999 getötet oder gelten bis heute als vermisst – über 10.000 der Opfer waren Kosovo-Albaner. Wie Marty konzentrierte sich auch Williamson bei seinen Ermittlungen auf das Schicksal von 470 vermissten Zivilisten, die unmittelbar nach Ende des Kriegs und Einmarsch der Nato-Truppen im Juni 1999 von der UÇK verschleppt und ermordet worden waren – rund 370 von ihnen waren Kosovo-Serben. Viele der Angehörigen, die er bei seinen Ermittlungen gesprochen habe, glaubten, dass jeder Vermisste zu einem Opfer von Organentnahme geworden sei, berichtete Williamson: „Doch dafür haben wir keine Beweise.“

Anhaltende Zeugeneinschüchterung

Ausdrücklich bedauerte der Sonderermittler die Verzögerung bei der Einrichtung des Kosovo-Tribunals, das laut jüngsten Medienberichten doch gänzlich in Den Haag und nicht wie zunächst geplant zumindest teilweise in Prishtina residieren soll: „Wir sind in der Rechtspraxis ein Präzedenzfall. Wir haben zwar Ankläger, aber noch kein Gericht.“ Williamson klagte zudem über das anhaltende „Klima der Zeugeneinschüchterung“ im Kosovo. Politiker und Journalisten, die öffentlich Zeugen wegen deren Aussagebereitschaft verurteilten, „verteidigen den Kosovo keineswegs, sondern geben dessen Zukunft preis“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2014)

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