Der neue Salzburger „Rosenkavalier“ hat ungeahnte Facetten

Singers Koch as Octavian and Erdmann as Sophie perform on stage during a dress rehearsal of Richard Strauss´ opera ´Der Rosenkavalier´ in Salzburg
Singers Koch as Octavian and Erdmann as Sophie perform on stage during a dress rehearsal of Richard Strauss´ opera ´Der Rosenkavalier´ in Salzburg(c) Reuters (DOMINIC EBENBICHLER)
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Seit der Uraufführung sind in Hugo von Hofmannsthals berühmtestem Textbuch anzügliche Passagen gestrichen, die Richard Strauss auch entsprechend illustrativ komponiert hat.

„Der Ochs auf Lerchenau“ sollte nach dem Willen von Richard Strauss die Hauptfigur der ersten echten Gemeinschaftsproduktion mit Hugo von Hofmannsthal werden. „Der Rosenkavalier“ stand als Titel erst knapp vor der Uraufführung fest. Hofmannsthal und Pauline Strauss hatten sich durchgesetzt. Der Erfolg gab dem Dichter und der Komponistengattin recht.

Zum Premierensieg führte freilich der steinige Weg über die wilhelminische Zensur. Die war in Sachen Strauss schon vorgewarnt. 1905 gingen die Perversionen der „Salome“ – in Wien an der Hofoper bis zum Ende der Monarchie unmöglich! – in Berlin erst in Szene, als ein preußischer Theater-Oberst auf den sublimen Gedanken kam, zuletzt durch einen Stern das Kommen der Heiligen Drei Könige anzudeuten...

Auch angesichts der Anzüglichkeiten im „Rosenkavalier“ wusste man Rat. Zwei Sängerinnen, die miteinander im Bett liegen, das ging natürlich nicht. Schon gar nicht als Anfangsszene des ersten Akts. Die beiden haben beim Aufgehen des Vorhangs züchtig nebeneinander auf einem kleinen Sofa zu sitzen! Dass das Orchestervorspiel ganz explizit einen Liebesakt beschreibt, blieb von solchen Säuberungsmaßnahmen unberührt. Zensoren können den Text, aber keine Noten lesen. (So war es einst schon Robert Schumann gelungen, die verbotene Marseillaise in seinen „Faschingsschwank aus Wien“ einzuschmuggeln.)

Dann noch, horribile dictu, das Wörtlein Bett – aus dem Munde einer jungen Dame? Sophie, Adressatin der silbernen Rose, kennt alle Vornamen ihres hochadligen Rosenkavaliers, und zwar „aus dem Buch, wo die Stammbäume drin sind. Das nehm ich immer abends mit“ – nein, nicht „ins Bett“, wie Hofmannsthal gedichtet hat, sondern „zu mir“. Wie ein Schnapserl, denkt der Hörer. Zensurdienst ist Zensurdienst. Schnaps ist Schnaps. Und das Bett fliegt raus, wie noch manches Detail aus dem Libretto.

Der dauerhafte Rotstift des Zensors

Amüsant, dass noch die von Herbert von Karajan dirigierte, legendäre Salzburger „Rosenkavalier“-Produktion zur Eröffnung des großen Festspielhauses 1960, die 1983/84 noch einmal ins Programm genommen wurde, ohne Bett im ersten Akt auskam.

Auch andere Zensurmaßnahmen entpuppten sich als dauerhaft. Am dauerhaftesten hielt sich der radikalste Eingriff in die Komposition. Er zerstört sowohl die architektonische Struktur von Szene II im ersten Akt als auch die psychologische Charakterisierung der Person des Ochs auf Lerchenau als Ganzes.

Völlig untragbar war für die Prüderie der Uraufführungs-Ära nämlich die sogenannte „Mägde-Erzählung“ des Ochs, mit der dieser Landjunker sich als eine Art Weinviertler Don Juan entlarvt. Giovanni und Leporello in Personalunion, brüstet er sich in seiner persönlichen „Registerarie“ mit Liebesabenteuern sonder Zahl. Ochs preist den sommerlichen „Zuzug an böhmischen Mägden“ in seiner Heimat: Lerchenau liegt im Norden von Wien nächst der Brünnerstraße, nahe dem väterlichen Gaunersdorf (heute: Gaweinstal); Stetteldorf und weitere besungene Ortschaften findet man ein wenig weiter westlich, am Wagram.

Die Mädchen, die sich zur Landarbeit verdingen, verführt Ochs nach den derbsten Regeln der Kunst – der sensible Hofmannsthal gebietet diesbezüglich über einen erstaunlich reichen Wortschatz, Strauss über eine noch viel anschaulichere Lautmalerei.

Die Sittenpolizei verfügte zwei Striche, die mehr als die Hälfte der Arie opfern. Von der Einleitung führt die zensurierte Variante über den berühmten Satz: „Wollt' ich könnt' sein wie Jupiter selig in 1000 Gestalten! Wär' Verwendung für jede“ fast unmittelbar ins Terzett Marschallin/Octavian/Ochs, das als Anhängsel eine rasante Coda der eigentlichen Solonummer bilden sollte. Im Bühnengebrauch in aller Welt stellt das Terzett (50 Takte) beinah die Hauptsache da, denn 163 von genau 300 Takten der „Mägde-Erzählung“ fallen auch in den Strauss-Städten Wien und München bis heute aus!

Salzburg erlebt 2014 den ersten ungekürzten „Rosenkavalier“ der Festspielgeschichte. „Der Ochs ist damit eine völlig andere Person“, sagt Günther Groissböck, der als Erster die gesamte Partie einstudiert hat und damit einen reicheren Charakter darzustellen hat als die illustren Vorgänger.

Probleme mit der Zensur hatte freilich nicht erst Richard Strauss. Dass die Festspiele heuer auch „Don Giovanni“ im Programm haben, könnte Interessenten inspirieren, den Quellen dieser Oper auf den Grund zu gehen. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde liegt das gedruckte Libretto, das 1787 von Lorenzo da Ponte der kaiserlichen Zensur vorgelegt wurde: Da fehlt das Finale des ersten Akts, in dem der Titelheld das Motto seines Festes vorgibt, in das alle einstimmen: „Viva la libertà“. Du lieber Himmel! Da lassen wir ja noch lieber ein Bett auf der Bühne stehen, „a mordsmäßig großes“...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2014)

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