Partizipation: Vorarlberger Modell macht Schule

Bei kleinen und großen Fragen werden im Ländle Bürgerräte einberufen, die Lösungsvorschläge für die Politiker erarbeiten. Das Ergebnis ist aber nicht bindend.

Wien/Bregenz. Wie gelingt eine gute Nachbarschaft? Diese in alle Richtungen dehnbare Frage wurde vor rund zwei Jahren in einem landesweiten Bürgerrat in Vorarlberg diskutiert, wobei die Teilnehmer unter anderem zur folgenden Erkenntnis gelangten: Eine gute Nachbarschaft verlangt Vertrauen, gegenseitigen Respekt und Toleranz. Braucht es für diese Feststellung eine zweitägige Zusammenkunft und lange Diskussionsrunden?

In Vorarlberg schon, denn das erklärte Ziel des Bürgerrats ist es auch, konkrete Lösungsvorschläge zu erarbeiten, die dann als Empfehlungen an die Politik weitergegeben werden. In diesem Fall war es etwa die Idee, eine Schlichtungsstelle für Nachbarschaftskonflikte einzurichten – oder Nachbarschaftsgremien, denen ein Recht auf Mitgestaltung der Wohngegend eingeräumt wird.

Das Vorarlberger Modell des Bürgerrats, also der politischen Partizipation der Bürger, ist durchaus vielschichtig. Neben landesweiten Enqueten – siehe Thema Nachbarschaft –, die von allen politischen Parteien gestaltet werden können, finden die Zusammenkünfte der Bürgerräte vor allem auf kommunaler Ebene statt.

Hier sind die Erfolge am größten, sagt Manfred Hellrigl vom Vorarlberger Büro für Zukunftsfragen – wenn es beispielsweise um den Abriss oder die Beibehaltung eines Hallenbades geht. Seit 2006, seit das Land begonnen hat, mit Bürgerräten zu experimentieren, sind bereits 35 Verfahren durchgeführt worden. Gleichzeitig findet das Modell auch in den Nachbarländern Anklang, dort wurden Verfahren unter der Ägide der Vorarlberger durchgeführt. Baden-Württemberg etwa zeigt großes Interesse.

Mit Jänner 2013 wurde die partizipative Demokratie in Vorarlberg in der Landesverfassung verankert. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt per Zufallsprinzip, wobei auf Heterogenität geachtet wird, so Hellrigl. Bisher habe das auch gut funktioniert, Nachholbedarf gebe es bei Migranten und jungen Menschen.

Auch wenn die Ergebnisse der Bürgerräte für die Politik nicht bindend sind, können ihre Lösungsvorschläge nach all dem Aufwand schlecht ignoriert werden. Für die Politiker ist es ebenfalls ein Lernprozess. Hellrigl: „Ich mache öfter die Erfahrung, dass die Politik den Bürgern zu wenig zutraut.“ (duö)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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