Heilungssex und andere gesunde Schockmomente

Ivo Dimchev
Ivo Dimchev(c) REUTERS (HERWIG PRAMMER)
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Ivo Dimchev will beim ImPulsTanz sein Publikum heilen. So manchen Zuschauer verstört er aber.

Welche Erfahrungen können heilend sein? Ein Schockerlebnis? Eine Massage? Ein Blowjob? Ivo Dimchev setzt alle ein. Sein Programm „I Cure“ soll nicht der kulturellen Erbauung dienen, im Gegenteil: „Der künstlerische Wert von ,I Cure‘ ist zweifelhaft und von unwesentlicher Bedeutung“, heißt es im Programmheft. Dimchev will sein Publikum heilen.

Der radikale bulgarische Performer setzte schon zuvor auf hemmungs-, rücksichts- und schamloses Spiel. Als alternde Diva Lili Handel zapfte er sich auf der Bühne Blut ab, das er dann unter den Zuschauern versteigerte. In „I-On“ kopulierte er mit Skulpturen des österreichischen Künstlers Franz West – immerhin ließ er sie ganz, im Jahr davor hatte er spontan eine Skulptur von Franz West zertrümmert. Dieser nahm es gelassen, ihm war es ein Anliegen, Kunst zum Angreifen zu produzieren. In „Fest“, das Dimchev 2013 und heuer beim ImPulsTanz präsentierte, karikierte er die Erniedrigungen im Kunstbetrieb, indem er die Akteure zu Sexobjekten degradierte. Dimchev bricht Tabus, macht sich selbst zur Kunstfigur, zwingt seine Zuschauer, ihre selbst gesetzten Grenzen von Moral und Kunst, von Satire und Geschmacklosigkeit zu überdenken.

Russisch ist heilend, Porno auch

Vielleicht ist das ja die Heilung, die er beim Publikum anstrebt. Vollzogen wird die Behandlung in mehreren Akten. Zu Wellengeräuschen sprüht sich Dimchev, mit blonder Perücke und Bikinihöschen bekleidet, mit Öl ein und sendet Liebe an das Universum. Wir erfahren: Russisch ist eine heilende Sprache, genauso wirkt die Frequenz von 528 Hertz. Auch Pornografie sei heilend, sagt er – woraufhin er Patrick, den er Jesus nennt, zu sich bestellt und dem Braven eine Fellatio und danach einen fingierten Koitus abverlangt. Dann reißt sich Dimchev die Perücke vom Kopf– und wirkt, obwohl er mittlerweile bekleidet ist, viel nackter als in den unerotischen Sexszenen von vorhin. Auf dem Bildschirm zeigt er ein Foto ermordeter Kinder. Es wird still. Einige Zuschauer verlassen den Saal.

Ivo Dimchev verstört, doch er zeigt auch eines: Theater darf (fast) alles, und die Realität kann viel verstörender sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2014)

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